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36 Jahre Konkret CD

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Heft 12 2000

Peter Hacks

Die Namen der Linken

Die Ameise Naknak, Adam, Konfuzius

Die Ameise Naknak war von der Milchstraße auf der Erde eingetroffen, denn sie war eine Traumzeitautorität und ein Totemgeist. Sie wanderte durch einen Wald, in dem es von mannigfachem Getier wimmelte, Naknak aber unterschied sie von einander und nannte sie bei ihrem Namen. Diese wichtige Sache ereignete sich in Tasmanien.

Dieselbe Arbeit für unsere Weltgegend besorgte, wie wir aus dem zweiten Kapitel der Schöpfungsgeschichte wissen, der Mensch Adam. »Denn als Gott der Herr gemacht hatte aus Erde allerlei Tiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter dem Himmel, brachte er sie zu dem Menschen, daß er sähe, wie er sie nennete, denn wie der Mensch allerlei lebendige Tiere nennen würde, so sollten sie heißen.«

Seit alters also besteht Einverständnis darin, daß es nicht dumm sei, die Dinge vermöge der ihnen zukommenden Bezeichnungen zu bezeichnen. Einem seinen Namen geben ist im Grunde nichts anderes als ihn ins Sein versetzen, oder würden Sie von Lebewesen, die mit keinem genaueren Wort zu rufen gehen als »Vieh und Vogel«, sagen, sie existierten? Die urzeitlichen Weltbewohner, die nach nichts heißen, waren auch nichts, sie hausten in der Verwahrlosung, frei von Sinn und Sitte, es war eine einzige Promiskuität und ein Gomorrha.

Ganz zu Recht ist von den Lehren des Konfuzius die die berühmteste: »Wenn Euch der Kaiser die Regierung anvertraute, was würdet Ihr zuerst tun? – Der Meister antwortete: Unbedingt die Namen berichtigen« (Lun-yü XIII-3). Nicht weniger berichtigungsbedürftig als seinerzeit um Vieh und Vogel, so scheint mir, steht es heute um die Angehörigen der politischen Linken. Ich versuche im Folgenden, auch sie in die Begreifbarkeit zu rücken und auf die Reihe zu bringen.

 

Natürliches System der Linken

1. Kommunisten. Marxisten-Leninisten, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Ablösung der monopolkapitalistischen Gesellschaftsformation durch die sozialistische Gesellschaftsformation zu befördern. Parteien: KPdSU bis 1953. SED bis 1971. KPD. Auch: Allunions Kommunistische Partei Bolschewiki.

2. Reformkommunisten. Der moralische Kollaps der KPdSU ereignete sich nach dem Sieg über Hitler, so plötzlich, wie die Krise nach dem Gipfel der Konjunktur sich ereignet. Drehpunkt war der Tag, an dem die Partei erfuhr, daß sie, statt sich dem Ruhm, dem Frieden und dem Wiederaufbau zu widmen, die Atombombe würde zu erfinden haben. Stalin hatte schon einmal die Aufgabe gelöst, einen Rückstand von hundert Jahren in zehn Jahren aufzuholen, und dafür mit den schwersten wirtschaftlichen Opfern und dem schrecklichsten aller Kriege bezahlt, die sowjetischen Kommunisten machten sich ebenfalls an diese Aufgabe, aber in ihren ermatteten Gehirnen nagte die Überlegung, ob nicht der nächste Krieg sich auf irgendeine Weise könnte vermeiden lassen. Es kommt nicht darauf an, daß wir Verständnis dafür haben, daß sie es satt hatten. Die sinnlose Überlegung führte zu einer sinnlosen Hoffnung und die Hoffnung zum Opportunismus. Nach Stalins Tod gibt die internationale Arbeiterbewegung auf und spaltet sich in eine rechte und eine linke Abweichung. Die rechte wie die linke Abweichung erklären sich zur reinen Lehre und schließen einander aus der internationalen Arbeiterbewegung aus. Das Schisma erfüllt die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Reformkommunisten sind jene rechten Opportunisten, die glauben, die Friedens- und selbst die Sozialismusfrage vertrauensvoll in die Hände des Imperialismus legen zu sollen (»historischer Kompromiß«). Theorien nach Hilferding, Kautsky, Otto Reinhold. Verwerfung Stalins. Parteien: KPdSU (Chruschtschowisten/Breshnewisten), auch: Eurokommunisten. Die DKP ist eine kollektive Gründung von L. Breshnew, Willy Brandt und Luigi Longo, welche 1968 gegen den Widerstand Max Reimanns und Walter Ulbrichts erfolgte.

3. Maoisten. Linker Partner im opportunistischen Schisma. Annahme, ein aufrechter Mut könne ökonomische Tatsachen wettmachen. Parteien: KPD/ML.

4. Unabhängige Sozialdemokraten. Derivat der praerevisionistischen Bebelschen SPD von 1917 bis 1922. Als Übergangserscheinung und theoretischer Zwitter zerfällt sie in SPD und KPD. Partei: USPD.

5. Kommunistische Plattform, der PDS nämlich. Aus bauernfängerischen Gründen 1990 ins Leben gerufen von drei Agenten der Konterrevolution, Lothar Hertzfeld, Fred Beuchel, Marian Krüger, gelang es ihr dennoch, sich zur Höhe einer USPD hinaufzuarbeiten, welche nun erst einmal UPDS heißen müßte.

6. Sozialisten. Alle sozialistischen Parteien haben dasselbe Herkommen und Wesen wie die USPD, nur daß sie sich länger halten. Das klassische Muster ist Mussolinis und Nennis Partito Socialista Italiano PSI.

7. Bürgerliche Linke. Uninteressiert an Marx und Lenin, aber glaubwürdige Antimilitaristen und Antifaschisten. Imperialismuskritik in der Art von John A. Hobson. Partei: Deutsche Friedensunion (DFU).

8. Nationale Linke. Zeitweiliges Phänomen in jungen Nationalstaaten. Imperialismuskritik in der Art des Mahdi. Kemalisten, Peronisten, Nasseristen. Parteien: Baath.

9. Radikale. Starke kleinbürgerliche Strömung in Frankreich auf den Spuren Voltaires, den deutschen Freisinnigen entsprechend. Müssen laut Lenin von der Revolution ausgeschlossen werden. Partei: Parti Républicain Radical et Radical-Socialiste.

10. Trotzkisten. Kommunisten mit dem Hauptzweck der Gegnerschaft gegen Stalin. Parteien: SAP, KAPD.

11. Anarchisten. Anhänger Bakunins und Kropotkins, Gegner Marx’.

12. Neue Linke. Für die CIA erdacht von Herbert Marcuse, lebhafter ephemerer Einfluß während der ersten Nachkriegskrise in den sechziger Jahren und des Akkumulationsbedarfs infolge der technischen Revolution. Zählt, wie Nrn. 10 und 11, zu den Gruppierungen der 4. Internationale. Partei: Studentenbewegung.

13. Terroristen. Netschajewistische Genossen, die unbeschreiblichen, aber ganz überflüssigen Ärger anrichten und erleiden. Parteien: RAF, Bewegung 2. September.

14. Mehrheitssozialisten. Die Reste der Sozialdemokratie nach Austritt der USPD. Ohne linke Neigungen. Der derzeitige Vorsitzende Gerhard Schröder gehört an den rechten Rand der FDP oder gleich nach Brüssel. Merkwürdigerweise hat das Wort Mehrheitssozialisten denselben Wortsinn wie das Wort Bolschewiki. Parteien: SPD, PDS.

15. Individualkommunisten. Kommunisten mit einem Schaden oder einem Puschel. (Ein Puschel in der Theatersprache: stehende Narrheit.) Beispielsweise Hermann L. Gremliza, der germanophob und ein Philosemit, in allem übrigen aber Kommunist ist. Ähnlich Georg Fülberth, Holger Becker, Gerhard Branstner. Oft scharfsinnig, nur eben jeder Mann »in his humour«. Für Parteien nicht geeignet.

 

Ruf zur Ordnung

Der Grund für die Unzufriedenheit und Gereiztheit vieler Linken liegt darin, daß sie, statt in ihrem jeweiligen Vereinsstübchen nett beisammenzusitzen, sich an Orten aufhalten, wohin sie ein sonderbares Schicksal sortiert hat. Sie heißen falsch. Sie taugen dort nicht hin, wo sie sind.

Wieso sind Kurt Gossweiler und André Brie Mitglieder ein und derselben Partei, in die sie beide nicht gehören? Was treiben Hans Heinz Holz und Ellen Weber in ein und derselben Partei, in die sie beide nicht gehören? Warum ist Rolf Vellay in der Partei, in die er immer wollte, nie angekommen? Ich verspreche mir von der Vorlage meines Natürlichen Systems keine geringe Wirkung auf alle Betroffenen.

Nachdem der Hirsch von Adam erfahren hatte, daß er ein Hirsch sei und die Ziege eine Ziege, hatte der Hirsch endlich aufgehört, die Ziege zu ficken.

Der Beitrag wurde zuerst in der Zeitschrift »Offensiv«, 6/2000 (»Beiträge zur Geschichte des Sozialismus«, Heft 1) veröffentlicht.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36