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36 Jahre Konkret CD

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Heft 04 2010

Erwin Riess

Die Kandidatin

Eine Frau, die die Aufhebung des Verbots nazistischer Organisationen fordert, bewirbt sich um das höchste Amt im Staate Österreich.

Ihre Kinder heißen Alwine, Hedda, Kriemhild, Mechtild, Wolfdietrich und so weiter. Zehn an der Zahl, und jeder Balg ein Ableger der Nibelungensaga. Beispielhaft setzt das Ehepaar Rosenkranz Lendenkraft und Treue zum deutschen Volkstum ein, der muselmanischen Flut Herr zu werden. Das Vorbild der Kaiserin Maria Theresia vor Augen, die es mit ihrem Franz auf 16 Kinder brachte, will auch Barbara Rosenkranz hoch hinaus. Da ihr Mann Horst Jakob nicht kandidieren kann, weil er sich in jüngeren Jahren als Mitglied der Nationaldemokratischen Partei und Proponent der Liste "Nein zur Ausländerflut" zu weit vorgewagt hat und seine Läuterung angesichts eines von ihm herausgegebenen nazistischen Hetzblatts wenig glaubwürdig ist, tritt seine Frau, die einen feinen Unterschied zwischen österreichischer Staatsnation und deutscher Kulturnation macht, vor die Landsleute und bewirbt sich als Kandidatin der FPÖ gegen den amtierenden Bundespräsidenten Heinz Fischer (ehemals SPÖ) um das erste Amt im Staat. Da die ÖVP keinen eigenen Kandidaten aufstellt und sowohl die Grünen als auch die versprengte Restlinke sich ebenfalls in Untätigkeit üben, stehen die Chancen der Kandidatin gut, bei den Wahlen am 25. April mehr als einen Achtungserfolg für die rechtsextreme FPÖ einzufahren - die den Präsidentschaftswahlkampf als Aufgalopp für die im Herbst anstehenden Wahlen in Wien betrachtet. Die von FPÖ-Parteiführer Strache ausgerufene "Schlacht um Wien" beginnt mit dem Gefecht um den Sitz des Präsidenten, die Hofburg.

Noch am Tag der Nominierung Ende Februar reitet die Kandidatin eine erste Attacke. Schon in ihrer ersten Wortmeldung macht die resolute Frau sich für eine Aufhebung des NS-Verbotsgesetzes* stark. Den Holocaust leugnet sie mit den Worten, sie halte sich an das, was sie in den sechziger und frühen siebziger Jahren in der Schule gelernt habe (damals endete der Geschichtsunterricht mit dem Ersten Weltkrieg). Im übrigen buhlt sie um die Stimmen des bürgerlichen Lagers und wird darin vom Herausgeber der "Presse" unterstützt, der das Verbotsgesetz ebenfalls aufheben will, weil dessen Existenz der österreichischen Bevölkerung Unreife attestiere. Unterstützt wird die Kandidatin aber nicht nur durch das sogenannte "nationale Lager" (der politische Terminus "national" ist in Österreich eine seit Jahrzehnten eingebürgerte Verharmlosung von "deutschnational" beziehungsweise "nationalsozialistisch"), sondern auch von der auflagenstärksten Zeitung des Landes, der "Kronen-Zeitung". Deren 89jähriger Herausgeber Hans Dichand läßt in dem Blatt seit Monaten für die 52jährige Barbara Rosenkranz trommeln, weil er in ihr viele reaktionäre Tugenden vereint sieht: als prinzipienfeste Gegnerin der Frauenbewegung, die ihr antiquiertes Rollenbild hinter fehlender Schminke nicht etwa verbirgt, sondern ausstellt (ein deutsches Mädel schminkt sich nicht), als Heroine der EU-Gegner - sie stimmte als einzige Nationalratsabgeordnete gegen den Vertrag von Lissabon - und als emsige Besucherin nazistischer Vorträge. Eine Mutter von rechtem Schrott und Korn.

Indes geriet ihr der erste Ausritt zu forsch; die öffentliche Leugnung des Holocaust führt in Österreich, wer weiß, wie lange noch, zu schwachen Protesten der politischen Klasse. Hans Dichand kam der Anfängerfehler seiner Kandidatin gelegen. Um zu demonstrieren, wie tief sie vor ihm zu Kreuze kriecht, trug er ihr auf, sich öffentlich vom Nationalsozialismus zu distanzieren. Beflissen kam die Kandidatin dem Befehl der "Kronen-Zeitung" nach und machte ihren Kotau. In einer dürren Erklärung, die sie in nicht einmal drei Minuten herunterratterte, gab sie an, sich von den Verbrechen des Nationalsozialismus und dessen Ideologie zu distanzieren. Nach der Verlesung stand sie auf und verließ den Raum. Fragen wurden nicht beantwortet.

Nun könnte man einwenden, daß, genau besehen, die Kandidatin sich nur von den Verbrechen und der Ideologie des NS-Regimes, nicht aber von dessen Gesamtheit distanzierte, in Österreich ist das aber müßig. Seit Jörg Haiders windigen Distanzierungen vom Nazisystem wissen die Pappenheimer, was gemeint ist. Die Rechten freuen sich darüber, daß die Pflichtübung mit unüberhörbarem Widerwillen abgespult wurde, das offizielle Österreich glaubt den Schein gewahrt. In Wahrheit weiß jeder, was gespielt wird.

Die "Kronen-Zeitung" wurde Anfang der sechziger Jahre mit Gewerkschaftsgeldern gegründet. Der seit den fünfziger Jahren dem CIA verbundene Baugewerkschafter und spätere Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), Franz Olah, ein KZ-Überlebender, zweigte ohne Wissen des Vorstands Gelder ab, um die Zeitung als Organ seiner rechtsmafiosen Positionen zu etablieren. Daraufhin wurde er als Gewerkschaftschef und Innenminister abgesetzt, gründete eine kurzfristig erfolgreiche rechte Arbeiterpartei, womit er der ÖVP 1966 die Alleinregierung sicherte, wanderte wegen Unterschlagung von Gewerkschaftsgeldern einige Zeit ins Gefängnis, ließ sich aber nach der Freilassung bis zu seinem Tod 2009 (er wurde fast 100 Jahre alt) als "elder statesman" hofieren.

In der Villa des greisen Zeitungsfürsten Dichand zum Essen geladen zu sein, gilt als Ritterschlag für ehrgeizige Politiker. Bundeskanzler Werner Faymann ist seit vielen Jahren bei "Onkel Hans" Stammgast. Dichands Kampagnenstärke verdankt er seine Kanzlerschaft. Der anstellige Politsohn stattet seinem Förderer und Mentor immer wieder seinen Dank ab. Zuletzt im Herbst des Vorjahres, als er in der "Kronen-Zeitung" eine 20 Seiten umfassende Inseratenstrecke buchte, die dem redaktionellen Teil bis auf den verschämten Kopftitel "Anzeige" glich wie eine Faymann-Rede der anderen.

Offiziell ist die Zweite Republik ein Staat mit antifaschistischem Grundkonsens. Die zeitgenössische Fassung dieses Prinzips lautet: Der SPÖ-Kanzler füttert die "Kronen-Zeitung" mit Inseraten, und die revanchiert sich, indem sie sich für eine rechtsextreme Kandidatin ins Zeug legt.

Erwin Riess hat soeben einen neuen Groll-Krimi veröffentlicht: Herr Groll und der rote Strom (Otto-Müller-Verlag, Salzburg)

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* Das Gesetz verbietet die Wiederbetätigung von NSDAP, SA, SS und allen sonstigen nazistischen Organisationen, es verbietet Neugründungen, die in diesem Sinn tätig werden. Des weiteren stellt es die Leugnung und Verharmlosung der nazistischen Verbrechen, insbesondere des Holocaust, unter Strafe. Das Gesetz ist kein totes Recht, es wird laufend angewendet. In den letzten 15 Jahren kam es zu mehreren hundert Verurteilungen, darunter einige Dutzend, die teils langjährige Haftstrafen zur Folge hatten.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36