Freitag, 3. Mai 2024
   
Startseite Konkret Hefte Konkret Texte Sonderhefte Konsum Online Konkret Verlag

Das aktuelle Heft



Aboprämie



Studenten-Abo



Streetwear



36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 08 2002

Georg Fülberth

Die Einladung

Die USA verlangen, daß ihren Blauhelm-Soldaten Immunität vor etwaigen Nachstellungen des Internationalen Strafgerichtshofs gewährt wird. Aus gutem Grund?

Herta Däubler-Gmelin, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Javier Solana, zu deren Amtspflichten es gehört, ökonomische und staatliche Interessen zu vertreten, indem sie vorgeben, es gebe Höheres als derlei niedere Belange - zum Beispiel die universelle Durchsetzung der Menschenrechte -, sehen sich bei der Arbeit empfindlich gestört. George W. Bush hat sie bloßgestellt, indem er klarmachte, daß er eine Fiktion nicht länger benötigt, auf die seine bisherigen Komplizen noch nicht verzichten zu können meinen.

Wir erinnern uns: Das Internationale Militärtribunal in Nürnberg hatte tatsächlich über Verbrechen einer Dimension zu urteilen, für die es noch keine Paragraphen gab, so daß gegen das Rückwirkungsverbot des Strafrechts verstoßen werden mußte. Deshalb wurden überpositive - also noch nicht kodifizierte - Normen herangezogen. Sollte dies nicht eine nachträgliche Rechtfertigung von Siegerjustiz sein, mußten Institutionen und Regelungen geschaffen werden, die den Einzelfall in eine verläßliche universelle Ordnung einfügten. Damit war die Schiene gelegt, die 1998 zum Vertrag über den Ständigen Internationalen Strafgerichtshof führen sollte.

Jetzt muß erklärt werden, weshalb das so lange dauerte. Dafür gibt es zwei Gründe:

Erstens ersetzte der Kalte Krieg die angestrebte Universalität durch Spaltung. Eine gemeinsame Instanz in der heikelsten aller Angelegenheiten war da unmöglich.

Zweitens hatten die Vereinigten Staaten während der Blockkonfrontation einige Freunde, die zwar nicht dieselben Verbrechen begingen wie die Nazis, die aber vor einem Internationalen Strafgerichtshof dennoch nicht davongekommen wären. Für den Geheimdienst der Vereinigten Staaten gilt dasselbe. Der US-amerikanische Journalist Christopher Hitchens sieht bekanntlich im eigenen Land einen weiteren Kandidaten für die Anklagebank: Henry Kissinger.

Daß die Idee vom Internationalen Strafgerichtshof nach dem Ende der Block-Konfrontation wieder beliebt wurde, könnte so interpretiert werden, daß der siegreiche Rest nun von älteren Bedenken befreit wurde und sich endlich etwas genehmigen konnte, was sich bislang leider verbot. Das ist aber ein bißchen kurz gedacht.

Die universelle Geltung der Menschenrechte war nämlich nicht etwa eine Norm, deren Anwendung auf den eigenen Staat und dessen etwas weniger ansehnliche Verbündete man nicht länger fürchten mußte, sondern sie war etwas viel Nützlicheres: ein Instrument zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Deshalb hatten die USA - besonders penetrant seit dem US-Präsidenten Carter - im Kalten Krieg immer wieder die Sowjetunion damit geneckt.

Daß Saddam Hussein mit der Annexion Kuweits das Völkerrecht gebrochen hat und daß der Krieg gegen ihn nach den Normen der Uno Rechtens war, wird niemand bestreiten. Wenn ausgerechnet die USA dabei die Führungsmacht gewesen sind, so erklärt sich dies einerseits aus ihrem militärischen Potential (ihr Einsatz war insofern die zweckmäßigste Lösung), anderseits offenbar aus ihrem Interesse, Ölquellen und Öltransportwege unter Kontrolle zu halten, um - weniger relevant - die eigene Zufuhr langfristig zu sichern und - wichtiger - gegenüber potentiellen Konkurrenten und Gegnern auf alle Fälle im Vorteil zu sein. Genaueres Hinsehen wird wahrscheinlich auch noch den Einfluß einzelner Petroleumgesellschaften und des militärisch-ökonomischen Komplexes entdecken. Völkerrecht und wirtschaftliche sowie strategische Interessen befanden sich in harmonischer Übereinstimmung.

Gleiches beobachteten wir in Jugoslawien 1999. Die jeweiligen nationalen und sonstigen Partikularinteressen der Interventionsstaaten sind so vielfältig, ja gegensätzlich gewesen, daß sie auf der rein materiellen Ebene gar nicht hätten offen ausgesprochen werden dürfen, ohne daß man sich gleich verkracht und die Aktion damit sogar verunmöglicht hätte. Der Einheitlichkeit des Handelns und seiner Legitimation war eine gemeinsame ideologische Formel deshalb sehr dienlich: Verteidigung der Menschenrechte gegen Milosevic. Die Einrichtung des Kriegsverbrecher-Tribunals in Den Haag komplettierte die Logik des Vorgangs. Als die Nato über Jugoslawien herfiel, war die Verletzung der Menschenrechte durch Milosevic nur ihre Behauptung. Das Tribunal soll sie jetzt beweisen. Weil das aber immer noch wie Ad-hoc-Justiz aussieht, ist ein ständiger Strafgerichtshof, der in künftigen Fällen schon vor der Verfolgung besteht, besser.

Die Interessen der stärksten kapitalistischen Staaten können miteinander übereinstimmen, müssen aber nicht. Im ersten Fall sind gemeinsame Institutionen praktisch, im zweiten störend. Letzteres zeigt sich gegenwärtig angesichts der Versuche der USA, sich in der Sicherung der Rohstoffzufuhr und -verwendung und gegen potentielle militärische Gefährdungen unverwundbar zu machen. Durch internationale Vereinbarungen kann man so etwas (falls es nicht "ungleiche Verträge" sind, die aus einem Diktat hervorgingen) nur erreichen, wenn sie auf Interessen-Übereinstimmung beruhen.

Die Lenker und Vordenker der US-Außenpolitik sind realistischerweise zu dem Ergebnis gekommen, daß nicht in allen denkbaren Situationen mit dieser Voraussetzung gerechnet werden kann. Das menschen- und völkerrechtlich begründete Allgemeininteresse könnte, so haben sie herausgefunden, in Gegensatz zu ihren nationalen Belangen (genauer: zu den Absichten der herrschenden Klasse in den USA) stehen.

Aus diesem ernüchternden Ergebnis muß jedoch nicht allemal die brutalstmögliche Konsequenz gezogen werden: Weltherrschaft. Die ist technisch schwierig und vertrüge sich auch schlecht mit der bisherigen universalistischen Argumentation, die im Kampf gegen den europäischen Kolonialismus (Monroe-Doktrin), den Faschismus (Roosevelt), Kommunismus (von Truman bis Bush sen.) und Milosevic (Clinton) so hilfreich gewesen ist und die deshalb auch für die Zukunft vorgehalten werden sollte. (Der eine oder andere Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels würde sagen: Sonst gäben die USA ihre Seele auf.)

Glücklicherweise kann zwischen den beiden Logiken - der universalistischen und der unilateralistischen - durch eine pfiffige These eine Verbindung hergestellt werden, nämlich: Werden Menschen- und Völkerrecht verletzt, haben sie nur dann eine Chance auf Wiederherstellung, wenn ein solches Unterfangen mit den Interessen der Macht vereinbar ist, die gebraucht wird, um es zu veranstalten. In letzter Instanz handele es sich dabei um die Vereinigten Staaten von Amerika.

Für diese Überlegung könnte beispielsweise sprechen, daß die Uno während des Völkermords in Ruanda untätig geblieben ist. Wer den USA vorhält, daß sie damals nicht in die Lücke getreten sind, weist ihnen die Rolle des letztinstanzlichen Retters zu, auf die sie sich bei ihrer Machtpolitik berufen. Die Wahrheit ist wohl, daß hier weder die sogenannte Völkergemeinschaft noch die Vereinigten Staaten von Amerika die Verteidigung der Menschenrechte als eine Angelegenheit, die mit ihren Interessen etwas zu tun haben könnte, angesehen haben.

Zu den Unbehaglichkeiten der hier referierten Auffassung gehört, daß das Militärische in ihr eine so hervorragende Stellung hat. Wie oft haben wir, wenn irgendwo ein Konflikt kriegerisch eskalierte, ausgerufen: Man muß das Problem politisch lösen! Dieser Gemeinspruch ist tiefster Beachtung wert, die in eine lange, wahrscheinlich etwas hämische Abhandlung münden würde. Das muß hier unterbleiben: erstens aus Platzgründen, zweitens weil das bellizistische Fach schon hinlänglich besetzt ist und drittens, weil Ungediente sich um einen solchen Posten nicht bewerben sollten.

Ähnlich steht es mit der Auffassung, die Wirtschaftshilfe heile alle Wunden. Naher Osten, Balkan, Afghanistan: immer wieder hören wir, eine neuer Marshall-Plan müsse her.

Hoppla! könnte die Professorin Condoleezza Rice antworten: hier handele es sich ja wohl um ein US-amerikanisches Patent. Dem einzigen Fall, in dem es implementiert worden sei - Westeuropa 1947 ff. -, sei eine militärische Bereinigung vorangegangen: die Vereinigten Staaten lenkten Dollars in eine Weltgegend, in der sie vorher Truppen placiert hatten. Wer also einen Marshall-Plan für den Nahen Osten fordere, solle gefälligst gegen eine kriegerische Beseitigung Saddam Husseins nichts haben.

Kann auf das Militär bei der Wahrung des National Interest der USA sowie der Wiederherstellung von Menschen- und Völkerrecht nicht verzichtet werden, dann - so die Schlußfolgerung - dürfen seine Angehörigen auch nicht dem Zugriff von Behörden ausgesetzt sein, die dieses Handeln im einen oder anderen Fall delegitimieren könnten. Sonst werde es am Ende noch dazu kommen, daß die Vertreter von Schurkenstaaten (und deren Nutznießer) etwa einen Internationalen Strafgerichtshof für ihre eigene Rechtfertigung zu mißbrauchen suchten.

Wie man weiß, teilen viele Verbündete der USA, etwa die Bundesrepublik, diese Auffassung nicht. Das hat nicht viel mit der Furcht vor einer Bedrohung oder Nötigung durch die Vereinigten Staaten zu tun, wenig auch mit der narzißtischen Kränkung von Intellektuellen, die ungern einer Mindermacht angehören, viel aber mit der realistischen Wahrnehmung eigener Interessen.

Wer allein nicht stark genug ist, braucht entweder ein Bündnis mit Mächtigeren und/oder multilaterale Zusammenschlüsse. So läßt sich ein Teil der Erfolgsgeschichte der BRD seit 1949 erklären. Da sich im Verhältnis zu den USA auch nach 1990 darin nicht alles geändert hat, ist das Interesse an Alleingängen geringer, als manche meinen. Techtelmechtel mit aktuellen Feinden der USA - Iran - relativieren diesen Zustand, heben ihn aber nicht auf.

Tatsächlich ist das Verhalten der Vereinigten Staaten bei der Ablehnung des Klimaschutz-Abkommens und des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs ja auch kein Angriff gegen ihre bisherigen Verbündeten, sondern ein Angebot. (Daß dessen letztliche Annahme wahrscheinlicher wird, soweit die USA deren Rohstoffzufuhr kontrollieren, stimmt schon.) Der implizite Vorschlag läuft darauf hinaus, sie könnten es, was die Beseitigung multilateraler Fesseln angeht, ja doch genauso machen wie Bush. Wenn der US-Präsident für seine Soldaten Freiheit von fremder Gerichtsbarkeit verlangt, so hätte er gar nichts dagegen, falls zum Beispiel Deutschland und die anderen dasselbe wollten. Dann ist man diesen fucking Gerichtshof eben los.

Solche Überlegungen sind den europäischen Freundinnen und Freunden, die jetzt ein wenig maulen, nicht ganz fremd. Bekanntlich scheiterte 1999 ein Übereinkommen in Rambouillet daran, daß Milosevics Vertreter nicht bereit waren, den Militärs der Nato Immunität bei der freien Hantierung in ganz Jugoslawien einzuräumen. In Afghanistan besteht dieser Zustand seit Januar 2002. Damals erwirkte Großbritannien von der Übergangsregierung, daß "sämtliche Angehörige der Friedenstruppe Isaf ›nicht ohne Zustimmung des Entsendestaates‹ an internationale Tribunale überstellt werden dürfen. Damit gilt diese Vereinbarung auch für die Soldaten der Bundeswehr, die in Afghanistan als Angehörige der Isaf Dienst tun" ("FAZ").

Das Vorgehen der USA mag ihre Verbündeten etwas grob darauf stoßen, daß sie schon immer nur in der zweiten Reihe standen. Aber dort ist es doch auch recht schön, vor allem deshalb, weil es darunter ja auch noch viele andere Ränge gibt.

Noch können gemeinsame Gegner ausgemacht werden, zum Beispiel Mißgünstige in rohstoffreichen Ländern und in Transitregionen für Gas- oder Öllinien der ehemaligen Dritten Welt. Präventive Sicherung sei - so werden wir geostrategisch belehrt - hier sinnvoll. Außerdem stabilisiert eine außerstaatliche Feinderklärung gegen Schurken auch den inneren Zusammenhalt in den reichen Ländern.

Bushs angebliche Ungezogenheit ist also in Wirklichkeit eine Einladung, die alte Komplizenschaft in neuer Form fortzusetzen. Er sagt: Du bist doch ein Ausbeuter, du kannst das begreifen.

Georg Fülberth schrieb in KONKRET 7/02 über den PDS-BücklingRoland Claus

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36