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36 Jahre Konkret CD

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Heft 02 2009

Fülberth

Die Ablenkung

Der Fall Mannichl und das NPD-Verbot - zwei Möglichkeiten, über die Rolle der Nazis in der Gesellschaft nicht zu reden.

Seit 1990 sind in Deutschland mehr als 120 Menschen von rechten Gewalttätern umgebracht worden, vier allein im Jahr 2008. Diese Zahlen nennen antifaschistische Organisationen. Der Verfassungsschutz kommt auf ungefähr die Hälfte. Keine zuverlässigen Angaben sind für die schweren Körperverletzungen bekannt. Einige Jahre lang hat KONKRET allmonatlich die Überfälle aufgezählt, seit kurzem setzt die Zeitschrift diesen Versuch auf ihrer Internetseite fort ("No-go-area": www.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=a1), eine vollständige und laufend fortgeschriebene Statistik liegt nicht vor. Sie wiese mit Sicherheit mehrere tausend Überfälle und Anschläge auf. Einige hatten sogar nachweisbaren politischen Erfolg: Die faktische Abschaffung des Asylrechts erfolgte nach einer Serie von Brandstiftungen.

Es ist kein ausschließlich deutsches Phänomen. Spitzenwerte für faschistischen Mord wurden 2008 aus Rußland gemeldet: 113 Tote und 340 teilweise schwer Verletzte. In Stockholm wurde Ende November des gleichen Jahres durch einen Brandanschlag ein linkes Zentrum vollständig zerstört.

Für Deutschland läßt sich das Täterprofil so umreißen: junge Männer, parteilos, von Zeit zu Zeit sich in bandenförmigen Strukturen einfindend, viel Alkohol. Sie haben auch schon einen literarischen Steckbrief: Josef Haslinger, Opernball. Ein Typ von dieser Sorte könnte es gewesen sein, der im Dezember 2008 den Polizeidirektor von Passau, Alois Mannichl, vor dessen Haustür im benachbarten Fürstenzell zusammenstach. Die öffentliche Aufregung war jetzt viel größer als in den vielen anderen Fällen ähnlicher und gleicher Gewalttaten. Dabei gibt es Parallelen sogar im technischen Ablauf: Der Täter hatte die von ihm benutzte Waffe nicht mitgebracht, sondern auf der Fensterbank gefunden. Wird er irgendwann vor Gericht gestellt, könnte die Beweisaufnahme eine Kombination aus rechter Gesinnung, lockerer Vernetzung in der Naziszene, grundsätzlicher Gewaltbereitschaft und Affekt im Tatmoment ergeben.

Diese Mischung findet sich immer wieder, wenn landauf, landab rechte Delinquenten angeklagt werden. Das gilt auch für einen 19jährigen, der im Juli 2008 nachts in das Zeltlager einer linken Jugendorganisation im nordhessischen Treysa einstieg und mit einem Feldspaten, der da herumlag, sowie einer Flasche ein dreizehnjähriges Mädchen lebensgefährlich verletzte. Die Zeugen widersprechen sich in der Frage, wie stark alkoholisiert er gewesen ist. Sieht man - was ja wohl nicht möglich ist - von seiner Tat ab, könnte man ihn als armen Teufel bezeichnen, ohne Ausbildung, da und dort herausgeflogen, zur Tatzeit wohl sogar ohne festen Wohnsitz, mit Verbindung zu den "Freien Kräften Schwalm-Eder". Vor Gericht bedauert er jetzt seine Tat und entschuldigt sich bei dem Opfer. Zugleich bekennt er sich zu seiner faschistischen Gesinnung.

Die Polizei ist auf derlei Fälle offenbar nicht gut eingestellt. Als es gegen die RAF ging, fand man schnell die Mittel bekannter Bürgerkriegsführung. Danach, bei der Verfolgung Roter Zellen, meinte man eine Entdeckung gemacht zu haben: die "Guerilla diffusa", die nicht mehr fest organisiert und deshalb schwer zu packen sei. Der Staatsapparat hat seine Theorie und Praxis innerhalb des neuen Paradigmas mittlerweile weiterentwickelt und gibt mit seinen elektronischen Fahndungsmethoden den Bürgerrechtlern immer wieder Anlaß zu Erregung, wobei jetzt der Islamismus der Hauptfeind ist.

Merkwürdig ist, daß die Vermutung von der "Guerilla diffusa" im Zusammenhang mit den rechten Gewaltakten kaum angestellt wird. Rein ideologisch mag das sogar zu begrüßen sein. Der Begriff "Guerilla" hat - trotz Carl Schmitts später Entdeckung des Partisanen - mehrheitlich noch eine fortschrittliche Patina. Nazis muß er nicht unbedingt zugestanden werden. Für Fahndungen allerdings - wenn denn ein Laie sich ausnahmsweise einmal dazu äußern darf - könnte die Einsicht schon weiterhelfen, daß wir es hier mit jungen Volksgenossen zu tun haben, die, im Grenzbereich von Delinquenz und rechter Jugendkultur sich bewegend, ziemlich schwer abwehrbar zuschlagen. Das ist nicht völlig neu: Josef Bachmann, der 1968 Rudi Dutschke zusammenschoß, war unorganisiert, aber im Kopf hatte er neben allerlei NS-Gedankengut die komplette "Bildzeitung". Insofern ist gerade im Einzeltäter immer auch die sogenannte Zivilgesellschaft präsent.

Wer das nicht wahrhaben will, diskutiert lieber mal wieder über ein NPD-Verbot. Zu begrüßen wäre es durchaus, wenn diesem großmäuligen Verein damit beizukommen wäre. Er ist nicht völlig belanglos für das Treiben der "Freien Kameradschaften". Die NPD kriegt Staatsknete über die Wahlkampfkostenerstattung und hohe Steuerrückerstattung für Parteispenden. Damit kann sie eine Infrastruktur finanzieren, bei der sich die Jungstiefel gern bedienen. Die Partei stellt Anwälte. Verschwände sie aus der Legalität, fiele das weg. "Freie Kräfte", rechte Schläger und Messerstecher gäbe es allerdings weiterhin. Die NPD-Organisation ist nämlich für sie nicht das einzige Umfeld, sondern eher eine - wenngleich nützliche - Nebensache. Wichtiger sind: der eigene Musik- und Literaturvertrieb, Internet, die Idiotie des Landlebens. Gerhard Frey von der Deutschen Volksunion betätigt sich als schöpferischer freier Unternehmer. Vor allem aber gibt es die bürgerliche Gesellschaft, die ihre Desperados hervorbringt und für einen Teil von ihnen auch leichtverständliche Ideologie im Angebot hat: vom "survival of the fittest" zum Beispiel.

Damit sind wir allerdings schon längst im Bereich der peinlichen Wahrheiten über den Zusammenhang zwischen der rechten Gewalt und der bestehenden Wirtschaftsordnung. In Talkshows wird sie sogar wieder als Kapitalismus bezeichnet, wogegen Nazis nun mal gar nichts haben. Das steht bei ihnen schon längst im eigenen Agitationsrepertoire. Kapitalismusschelte ist inzwischen ein ähnlicher Hype wie ein Che-Guevara-Shirt. In der Empörung über Spekulations-"Exzesse" kann sich sogar eine Volksgemeinschaft erneuern. Solange ein Übel nur benannt, seine Beseitigung aber nicht in Angriff genommen wird (oder nicht in Angriff genommen werden kann), ist es ungefährdet.

Vor allem aber: Der eine Schaden wird nicht in Verbindung gebracht mit dem anderen. Den Kapitalismus schont man zuweilen dadurch, daß man ihn beschimpft. Aus dem Zugriff auf die Nazis wird nicht viel, solange man erstens schnell auf eine Diskussion über ein NPD-Verbot ausweicht und zweitens ihr ökonomisches und subkulturelles Umfeld unangreifbar bleibt. Das gegenwärtige Hauptargument gegen den Kapitalismus läuft auf die Banalität hinaus, daß es da von Zeit zu Zeit zyklische Wirtschaftskrisen gebe. Die Nazis aber haben mit ihm angeblich überhaupt nichts zu tun. Die Trennung der einen Sache von der anderen ist ideologiepolitisch ziemlich pfiffig.

Das Maulen über den Kapitalismus und der immer wieder einmal ausbrechende folgenlose Aufstand der Anständigen: in beiden Fällen handelt es sich um Ersatzhandlungen. Reden über das NPD-Verbot ist dabei besonders folgenlos. Das Bundesverfassungsgericht hat 2003 schon einmal abgewinkt. Es war herausgekommen, daß der Verfassungsschutz einen erheblichen Teil der Kader dieser Partei stellt. Damit hat er ein Objekt für Verlegenheitsdebatten, die hin und wieder nützlich sein mögen, gut konserviert. Auch das ist Staats- und Gesellschaftsschutz.

Georg Fülberth schrieb in KONKRET 1/09 eine kleine Krisengeschichte

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36