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36 Jahre Konkret CD

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Heft 12 2009

Ralf Schröder

Detroit calling

Verarscht, betrogen, abgezockt: Wie und weshalb Deutschland im Namen von Opel drei Tage lang gegen General Motors randalierte.

Daß Verfolgungswahn und Narzißmus die mentale Existenz der Deutschen maßgeblich prägen, ist längst bekannt, vielfach verhandelt und als völkerkundliches Faktum kaum angreifbar. Dennoch entwickelt die kollektive Paranoia von Zeit zu Zeit ein Format, das auch abgestumpfte Beobachter fassungslos machen kann. So Anfang November in der Affäre Opel/General Motors: Die Ankündigung des amerikanischen Autokonzerns, sein deutsches Tochterunternehmen werde nicht verkauft, löste hierzulande eine Randale aus, die exemplarisch zeigt, wie stark kognitive Potentiale durch eingebildete Bedrohungen und Verschwörungen schrumpfen können. Um diese monströse Verzerrung der Wahrnehmung zu illustrieren, muß zunächst noch einmal kurz sortiert werden, was wirklich geschah.

Die Affäre beginnt im November 2008, als Opel aufgrund von Absatzeinbußen und massiven Verlusten als erster deutscher Autobauer Hilfe vom Staat verlangt. Anfang Dezember fordert der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz, Opel müsse von General Motors finanziell unabhängig werden. Er will ein neues Geschäftsmodell für die künftige Opel AG und bietet im Gegenzug finanzielle Zugeständnisse der Beschäftigten an. Im Februar/März 2009 hat sich dank Franz flächendeckend die merkwürdige Sprachregelung durchgesetzt, "Opel" wolle "sich" von GM abkoppeln. Ende April legt der österreichischkanadische Autozulieferer Magna ein erstes Konzept für die Übernahme von Opel vor; vorgesehen ist hierin unter anderem der Abbau von etwa 10.000 Arbeitsplätzen. Ende Mai kündigt GM an, sein Europageschäft, also auch die Hauptmarke Opel, rechtlich abzuspalten. Die Beteiligten einigen sich, Opel in eine Treuhandgesellschaft zu überführen, an der Bund und Länder 65 Prozent und GM 35 Prozent halten. Damit ist der Weg frei für einen Überbrückungskredit von 1,5 Milliarden Euro, den die Bundesregierung Opel zur Verfügung stellt. Am 10. Juli wird GM aus der fünf Wochen zuvor eingetretenen Insolvenz entlassen. Das Unternehmen ist vom US-Staat, der nun auch die Kontrolle übernommen hat, mit 50 Milliarden Dollar saniert worden. Nachdem GM bis dahin keine eindeutige Position dazu bezogen hatte, empfiehlt sein Verwaltungsrat am 10. September, Opel an Magna zu verkaufen. Eine Empfehlung, mehr nicht. Im September verlangt die EU-Kommission von Deutschland den Nachweis, daß die zugesagten Staatshilfen von 4,5 Milliarden Euro nicht nur für eine Übernahme durch Magna gelten, sondern auch für andere potentielle Käufer. In diesem Zusammenhang verweigert GM der Bundesregierung die Zusicherung, der Verkauf an Magna sei allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen geplant worden. Am 3. November beschließt der GM-Verwaltungsrat, majorisiert durch Gewährsleute der US-Regierung, Opel doch im Konzern zu halten und das Europa-Geschäft selbst zu sanieren.

Als sich diese Meldung verbreitet, brennen in Deutschland etliche Sicherungen durch. TV-Teams und Radioreporter setzen sich in Bewegung und liefern taufrische Stimmungsberichte von den "Werkstoren" in Rüsselsheim, Bochum, Kaiserslautern und Eisenach. "Das sind doch die größten Lügner. Die haben nie etwas anderes gewollt und nur auf Zeit gespielt", sagt ein repräsentativer Arbeiter in Rüsselsheim in die Mikrofone. Wirtschaftsminister Brüderle erklärt, ein "solcher Umgang mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern acht Wochen vor Weihnachten" sei nicht hinnehmbar. In Berlin teilt ein Regierungssprecher mit, die Kanzlerin sei verärgert. Merkel hatte nur wenige Stunden zuvor im US-Kongreß eine von allen Kommentatoren als gelungen eingestufte Rede zur deutsch-amerikanischen Freundschaft gehalten.

Obwohl sich GM nie rechtsverbindlich zu einem Verkauf von Opel geäußert, sondern ganz im Gegenteil immer auch auf die Möglichkeit eines Verbleibs der Tochter im Konzern hingewiesen hatte, standen die Amerikaner nun als Lügner am Pranger. "Obama veropelt Merkel", titelte der Kölner "Express" und attackierte im Kommentar das "selbstherrliche Management" bei GM und dessen "krasse Fehlentscheidungen". In der "Rheinischen Post" mußte GM als "schlechte Mutter" auftreten, die Absage des Verkaufs sei ein "Schurkenstück". Die "Westfälische Rundschau" sah eine "Erpressung der Belegschaft" und wertete das Verhalten als Beweis dafür, "wie kaltschnäuzig und übel Großkapitalisten sich zu benehmen pflegen". Die "Junge Welt" erfand die Headline "Zynische Zocker", der "Tagesspiegel" sprach von einer "schallenden Ohrfeige" für Merkel: "Ein nie dagewesener Affront, ein Desaster ist das, für die deutsch-amerikanischen Beziehungen ein Schlag." Die "SZ" machte auf mit der Headline "General Motors erpreßt Opel-Mitarbeiter" und schrieb im Kommentar: "Normalerweise ändern nur Börsenzocker in derart kurzen Abständen ihre Meinung", zudem hätten die GM-Manager "mit ihrem Wankelmut dem deutsch-amerikanischen Verhältnis schweren Schaden zugefügt".

Einmal mehr war es die Redaktion von "Bild", die auch in diesem Fall das historisch gewachsene Ressentiment und das aktuelle Volksempfinden grandios und anschaulich zusammenbrachte. "Amis führen alle hinters Licht. Opel - die große Verarsche", hieß es auf der Titelseite. Auf Seite 2 war von der "größten Verarsche der deutschen Industriegeschichte" die Rede, die deutschen Politiker seien mit "warmen Worten" eingewickelt worden. "Verlierer" seien vor allem die Opel-Beschäftigten: "Sie sind zum Spielball der feinen Herren in Detroit geworden." Nicht zufällig würden jene GM-Funktionäre, die Opel behalten wollen, in der Branche spöttisch als "Stalinisten" bezeichnet. Kolumnist Franz Josef Wagner schrieb: "So kann man mit Menschen nicht umgehen. Menschen haben ein Gärtchen, einen Sohn oder eine Tochter, die studieren. Menschen brauchen Planungssicherheit. Das Geheimnis des Glücks beruht auf Arbeit."

Das Bedürfnis, aus dem antiamerikanischen Gejohle politischen Nutzen zu ziehen, brachte den Opel-Arbeitern ganz neue Bundesgenossen aufs Werksgelände. In der Bochumer Fabrik sprach Jürgen Rüttgers (CDU), der seit seiner Wahl zum nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten gerne den Fürsprecher des Proletariats gibt - mit Erfolg, wie die Umfragen zeigen. Die GM-Entscheidung, Opel nicht zu veräußern, zeige "das häßliche Gesicht des Turbokapitalismus", das Verhalten des Konzerns sei "unseriös, menschenverachtend und rücksichtslos", aber: "Der Kampf geht weiter." Und Rüttgers führt ihn an.

In Rüsselsheim trat Hessens Ministerpräsident Koch vor den Werktätigen auf, die Plakate mit phantasievollen Losungen zeigten: "GM - hau ab" etwa, oder auch: "Freiheit für die Sklaven von GM". Da mochte sich Koch nicht lange bitten lassen. "Es geht nicht, daß GM Gewinnmaximierung betreiben will, indem sie die deutschen Arbeitnehmer als Geiseln nehmen." Natürlich sei es ungewöhnlich, daß er auf einer Veranstaltung der IG Metall spreche, so der konservative Hardliner. "Aber das spricht nur für die neue Zeit, in der wir uns befinden, in der Schubladendenken keinen Platz mehr hat." Ausdrücklich lobte Koch die Bereitschaft des Betriebsrats, mit dem angekündigten massiven Lohnverzicht zugunsten von Magna den Flächentarifvertrag der Metallindustrie deutlich zu unterschreiten. "Das ist eine gesellschaftspolitisch neue Dimension, die wir bei Gewerkschaften und Arbeitgebern so bisher nicht hatten und die nicht verlorengehen darf." Ebenso eindringlich mahnte er die Proleten, die eigenen Führer nicht in Frage zu stellen: "Bleiben Sie bei Ihrer Arbeitnehmervertretung. Arbeitnehmer, die fähig sind, Kompromisse zu machen, sind ein hohes Gut."

Die nationale Arbeitsfront, die Leuten wie Koch vorschwebt, wäre mit den Arbeiteraristokraten, die sich bei und im Umfeld von Opel tummeln, zweifellos auf einem guten Weg. Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz tritt seit Monaten wie der leibhaftige Chef von Opel auf (s. KONKRET 11/09) und punktet vor allem mit der paranoiden These, Detroit habe seine Kollegen über Jahre aktiv und absichtlich daran gehindert, gute Autos zu bauen und üppige Gewinne einzufahren. Die Strategie einer Loslösung von GM ist vor allem sein Werk, einen schönen Titel für die Mission hat er auch ersonnen: "Free Opel". Die einseitige und nachdrückliche Orientierung auf Magna betrieb Franz aus verschiedenen Gründen: Einmal, weil Magna im Gegenzug für einen immensen Lohnverzicht einer Beteiligung der Beschäftigten am Unternehmen zustimmte, zudem, weil sie die europäischen Standorte außerhalb von Deutschland deutlich stärker belastete. Hinzu kam, daß die geplante starke Beteiligung russischer Partner (Sberbank) in der deutschen Politik auf viel Sympathie traf.

In ihrem antiamerikanisch durchsäuerten Haß auf GM sind Franz und seine Leute kaum zu übertreffen. Als die Truppe Ende August die Idee hatte, durch "spektakuläre Maßnahmen" (Franz) den Druck auf GM zu erhöhen, berichtete "Bild" über Pläne, eine Großdemonstration vor der US-Botschaft abzuhalten. Die aus Sicht des Konzerns ziemlich selbstverständliche Forderung, man erwarte von den Beschäftigten in Europa nun einen ähnlichen Lohnverzicht wie er im Magna-Deal vorgesehen war, kommentierte Franz mit äußerster Entrüstung: "Schon wieder setzt der Konzern auf Drohungen, Erpressung und Einschüchterung." Rückendeckung erhielt der Betriebsratsfürst von Oliver Burkhard, IG Metall-Chef in NRW, der seine Skepsis gegenüber GM so begründet: "Es waren schließlich die Rock-'n-Roll-Kapitalisten aus Detroit, die das Unternehmen in die schwierige Situation gebracht haben."

Franz zur Seite steht auch Armin Schild, IG-Metall-Bezirksleiter, Aufsichtsrat bei Opel und ebenfalls von Verfolgungswahn befallen. Auf die Frage nach der Qualität des zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorliegenden Sanierungskonzepts gab er Anfang November folgende Antwort: "Die Marke Opel würde sogar in ihrer Existenz gefährdet, jedenfalls bewußt schwer beschädigt." Die Unterstützung für das Magna-Sberbank-Modell innerhalb der IG Metall ging so weit, daß deren Chef Huber im vergangenen August nach Moskau reiste, um Premier Putin mitzuteilen, man stehe in dieser Sache an der Seite Moskaus. Es spricht übrigens einiges dafür, daß die US-Regierung und GM den Magna-Deal auch deshalb stoppten, weil die beabsichtigte deutsch-russische Partnerschaft mit einem möglichen intensiven Technologietransfer von Westen nach Osten weder in die politische Geostrategie Washingtons noch in das amerikanische Szenario für künftige Konkurrenzkämpfe auf dem globalen Automarkt gepaßt hätte.

Einige besonders hübsche Beispiele für den antiamerikanischen Wahn ließen sich einem Internetforum entnehmen, das auf der Website des "Spiegel" unmittelbar nach der Ankündigung eingerichtet worden war, Opel werde im US-Konzern bleiben. Daß Vertreter von GM sogleich angekündigt hatten, durch eine Rückzahlung des Überbrückungskredits Opel aus den Treuhand-Verpflichtungen zu lösen, konnte das Mißtrauen unter den Diskussionsteilnehmern nicht besänftigen. "Ich werde in den Medien sehr genau darauf achten, daß Amerika die deutschen Steuergroschen so schnell alsbald zurück überweist, denn ich habe keine Lust für solche Freunde arbeiten zu gehen!" - "Ich jedenfalls habe keine Lust, mit meinem Steuergeld dieses nahezu bankrotte Unternehmen in den USA zu sanieren und Deutschland/Europa dafür bluten zu lassen." - "Keine Finanzierung US-amerikanischer Inkompetenz bei GM durch den deutschen Steuerzahler!" Für Menschen, die ihre Trauer und/oder ihre Wut in konkretes Handeln verwandeln wollen, gab es hier Tips, die an die größten Momente deutscher Selbstbehauptung erinnern. Einer lautete so: "Liebe Landsleute. Wenn Ihr eine soziale Gesinnung habt, dann gebt Konzernen wie GM kein Geld mehr und kauft woanders."

Ralf Schröder schrieb in KONKRET 11/09 über Betriebsräte deutscher Autokonzerne

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36