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36 Jahre Konkret CD

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Heft 08 2011

Georg Fülberth

Der Zukunft zugewandt

Weil das Kapital ein paar Hindernisse aus dem Weg geräumt haben möchte, wird es nicht mehr lange auf sich warten lassen: das strategische Bündnis zwischen Schwarz und Grün.

Das Tiefe, das der Geist von innen heraus, aber nur bis in sein vorstellendes Bewußtsein treibt und es in diesem stehen läßt - und die Unwissenheit dieses Bewußtseins, was das ist, was es sagt, ist dieselbe Verknüpfung des Hohen und Niedrigen, welche an dem Lebendigen die Natur in der Verknüpfung des Organs seiner höchsten Vollendung, des Organs der Zeugung, - und des Organs des Pissens naiv ausdrückt. - Das unendliche Urteil als unendliches wäre die Vollendung des sich selbst erfassenden Lebens, das in der Vorstellung bleibende Bewußtsein desselben aber verhält sich als Pissen.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes

Man erinnert sich: Um 1850 schien der Kapitalismus, obwohl in seiner industriellen Form noch ganz jung, schon am Ende. Überlange Arbeitszeiten und miese Löhne drohten die Arbeitskraft, in welche die Prinzipale ihr sogenanntes variables Kapital (Marx) knickerig investierten, so zu ruinieren, daß aus ihr bald kein Mehrwert mehr zu pressen war. Das war die Soziale Frage.

Für die Unternommenen ist sie bis heute nicht völlig gelöst worden, für die Unternehmer aber schon. Der Kompromiß mit Schlagseite, der so entstand, heißt Sozialstaat. In den Ländern der nachholenden Industrialisierung produzieren Elendsindustrien, einige Regionen sind so abgehängt, daß noch nicht einmal richtige Ausbeutung stattfinden kann (z. B. da und dort in Afrika), in den Zentren gibt es das sogenannte Prekariat. Aber systemsprengend ist diese Kombination nicht mehr, und allein darauf kommt es aus der Sicht der Wissenschaft vom Menschen, also der Kapitalistik, an.

Allerdings macht ein anderes Problem große Sorgen: der Zustand der Biosphäre. Ressourcen werden geplündert, Luft, Wasser und Boden vollgemüllt, fossile Rohstoffe werden knapp, Fukushima. Für die Beschaffung des Materials, mit dem Unternehmen wirtschaften, wenden sie sogenanntes konstantes Kapital (Marx zum Zweiten, siehe oben) auf. Wird das Rohöl teuer und versaut seine Verheizung die Atmosphäre so sehr, daß diese nicht mehr kostenlos in die Produktion einbezogen werden kann, sondern durch Filter aufwendig geschützt werden muß, drückt dies auf den Profit. Dann ist die Ökologie nicht länger ein Problem von Ästheten und Naturfreunden allein, sondern auch von Betriebswirten: Wie kann das konstante Kapital effizienter eingesetzt werden? Das ist die Umweltfrage.

Ihre Hinz und Kunz (altmodisch gesprochen: nicht nur Krupp Nachf., sondern auch Krause) erfreuende Beantwortung wird im Kapitalismus wohl ebenso ausbleiben wie eine alle beglückende Lösung der Sozialen Frage. Aber sie muß ebenso irgendwie kleingearbeitet werden wie diese. Und so entstand - neben der Regulierung der Finanzmärkte, die ebenfalls ansteht, denn die Spekulation ist im Interesse der Geldvermögensbesitzer berechenbarer zu gestalten - das zweite der großen Reformprojekte, mit denen wir in den nächsten Jahrzehnten unterhalten werden.

Dabei wird nicht ausbleiben, daß immer wieder einmal ein Loch gerissen werden muß, um ein anderes zu stopfen. Als die Klimaerwärmung Gefahr Nr. 1 war, schien die industrielle Nutzung der Kernkraft rehabilitiert. Dann kam der Unfall in Japan. Also: Schluß mit den deutschen AKWs, dafür mehr Belastung der Atmosphäre durch den Einsatz fossiler Brennstoffe. Dieses Pingpong dürfte in den nächsten Jahrzehnten so weitergehen, bis Abhilfe nach der Weise mittelalterlicher Chirurgie gefunden ist: Wem damals ein Bein amputiert werden mußte, der wurde zugleich durch Daumenschrauben gequält, damit sich der Schmerz besser verteilt. Das wäre dann die Lösung der ökologischen Frage.

Eine Massenschicht und ihre Partei

Das Problem wurde erstmals 1972 durch einen Bericht des Club of Rome medienwirksam benannt. Um es praktisch anzugehen, bedarf es einer Massenbasis. Als solche erwies sich die Schicht der Intelligenz. Seit Jahrzehnten besteht sie nicht länger aus ein paar Zehntausenden von Akademikern wie zur Zeit Kaiser Wilhelms, sondern aus Millionen. Sie durchzieht die sozialökonomischen Klassen, ohne sie aufzuheben. Manipuliert muß sie nicht werden. Das passiert nur noch der sogenannten Unterschicht.

Immer schon produzierte die Intelligenz aus eigener Begabung die herrschenden Gedanken, ohne daß diese aufhörten, die Gedanken der herrschenden Klasse zu sein. Anders als früher aber hat sie in Deutschland eine eigene Partei, die Grünen. Deren Anhänger wählen sich selbst. Deshalb können sie ihrer parlamentarischen Vertretung auf die Dauer nicht gram sein. Auch nachdem diese ihren Gründungsvierklang - die Losung: basisdemokratisch, sozial, gewaltfrei, ökologisch - durch Fischer, Hartz IV, Jugoslawienkrieg und einen Atomkompromiß nach dem Herzen des RWE-Wirtschaftsministers Werner Müller umkomponiert hatten, blieb ihre Trägerschicht sich selbst und damit ihren Mandatierten treu. Mußten früher Pastoren und Professoren für alle denken, wurde diese Aufgabe in der sogenannten Wissensgesellschaft neuerdings auf eine breitere Basis gestellt. Ist ein Problem für die Reproduktion des kapitalistischen Systems wirklich dringend, läßt sich gar nicht mehr umgehen, daß die Intelligenz es artikuliert. So sind die Grünen mittlerweile die Hegemonialpartei geworden, nach der sich Union und SPD auch dann schon richten müssen, wenn sie von ihr noch nicht an Wählerstimmen überholt sind.

Da die Wissensgesellschaft aber eine Klassengesellschaft bleibt, müssen die Wissenden sich der Unterstützung der ökonomisch Mächtigen versichern. Dies legt ein Bündnis mit dem Kapital nahe. Ganz einfach ist das keineswegs, denn die Eigentümer der wichtigsten Produktions- und Zirkulationsmittel zerfallen erstens in verschiedene Fraktionen mit einander - wenn auch nicht antagonistisch - entgegengesetzten Interessen, und zweitens ist ihnen selbst nicht immer bewußt, was gut für sie ist. Das war schon bei der früheren Behandlung der Sozialen Frage so: Bismarck - ein Junker, kein Industriekapitalist - mußte die Unternehmer per Arbeiter-, Kranken-, Unfall- und Altersversicherung zu ihrem eigenen Glück zwingen. Die Manager-Apo 2010 gegen den Vollzug des einst von Rotgrün auf den Weg gebrachten AKW-Ausstiegs war ein weiteres Beispiel von Bornierung gegen die eigenen Interessen.

Wer erkannt hat, daß gegen das Kapital keine Politik gemacht werden kann, wird sich lieber mit einer Partei verbünden, der jenes letztlich mehr vertraut als der SPD. Diese wiederum wird dann vor allem gebraucht, wenn sie ihrer eigenen Klientel etwas zumuten muß, was die sich von CDU/CSU und FDP nicht gefallen ließe - zum Beispiel die Agenda 2010. Das ist seit der Periode 1998-2005 (Schröder/Fischer und Merkel/Müntefering/Steinbrück) erledigt. Jetzt kommt die Gegenrechnung: Die ökologische Wende geht besser mit Schwarzgrün. Norbert Röttgen (CDU), der einst ja Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie hatte werden sollen und dies nur deshalb bleiben ließ, weil er sein Bundestagsmandat nicht aufgeben wollte, kann den Klassengenossen das freie und ruinöse Schalten und Walten mit den Stoffressourcen gewiß eher ausreden als z. B. Ottmar Schreiner. Vielleicht wird aber, bevor die strategisch sinnvollste Option - Schwarzgrün - eingesetzt wird, noch einmal eine grünrote Episode gebraucht, damit Künast und Trittin den letzten Uneinsichtigen in den eigenen Reihen zeigen können, daß es anders eben einfach nicht mehr geht. Es muß auch noch ein kleines inhaltliches Hindernis aus dem Weg geräumt werden:

Als der Bundestag über die Konsequenzen aus Fukushima debattierte, stimmte Jürgen Trittin darauf ein, daß soziale Kollateralschäden nicht ganz zu vermeiden sein würden, zum Beispiel höhere Energiepreise. Die wirken degressiv, wie die Mehrwertsteuer, treffen also Ärmere stärker als Reichere. Wenn eine neue rotgrüne Koalition den Schichten, bei denen die SPD sich gerade wieder etwas angenehmer machen will, so etwas zumuten muß, dann bleibt der Union diese unangenehme Aufgabe (die die besser verdienenden Wähler der Grünen nicht tangiert) ebenso erspart wie einst die Sache mit Hartz IV. Erst nach diesem taktischen Zwischenspiel wird der strategische Bund zwischen Schwarz und Grün seine langfristige Wirksamkeit entfalten können.

Krieg und Frieden

Er wird sich nicht auf die Umweltpolitik beschränken müssen. Auch auf dem Feld der Auswärtigen Beziehungen werden die Grünen einen Reformstau auflösen können.

Seit Schröder 2002 mit seinem Fuchteln gegen einen sich abzeichnenden Irakkrieg der USA die Wahl gewann und die Union verlor, weil Frau Merkel zu Bush hielt, haben die Christdemokraten gelernt. Sie wollen sich auf diesem Feld nicht noch einmal unpopulär machen. Die Bundesrepublik enthielt sich im Uno-Sicherheitsrat, als dieser den Krieg gegen Libyen auslöste. Dafür wird der Regierung außenpolitische Handlungsunfähigkeit vorgehalten, unter anderem von den Grünen, die im Bundestag darüber lamentierten, daß die deutsche Armee anders als 1999 im Jugoslawienkrieg keinen Bombeneinsatzbefehl für die Menschenrechte erhielt. Hat die CDU/CSU sie in einer künftigen Koalition an ihrer Seite, wird sie ihr Trauma von 2002 überwinden können.

Auch auf dem Gebiet der AKW-Politik wird Deutschland zur Zeit ja Selbstisolierung vorgeworfen, hier allerdings weniger im Ausland als von den Lobbyisten im Innern. Tatsächlich ist auffällig, daß sich nur wenige Länder derlei leisten zu können meinen. Ein Verzicht auf bisherige Formen der Energienutzung ist wohl denjenigen leichter möglich, die aufgrund außenwirtschaftlicher Dominanz ihren Nachbarn Bedingungen aufnötigen können, zum Beispiel durch Exportoffensiven mit besserer Technologie und niedrigen Lohnstückkosten. Wer solche Vorteile hat, wird anderen Staaten ihre Atommeiler gerne gönnen und schmutzige Energie von dort kaufen. Solarstrom aus der Wüste - siehe das Desertec-Projekt (KONKRET 8/09) - setzt militärische und politische Dominanz über die Lieferregionen voraus. Die deutsche Energiewende wird als Teil eines imperialistischen Projekts bessere Chancen haben.

Georg Fülberth schrieb in KONKRET 7/11 über einen neuen Vorschlag zur Arbeitszeitverkürzung

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36