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36 Jahre Konkret CD

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Heft 12 2009

Magnus Klaue

Der Text ist Wurst

Die Mitglieder der "Protextbewegung" wollen der Sprache nicht nur den letzten Rest an Geist austreiben, sondern sich dafür auch noch gut bezahlen lassen.

Das waren selige Zeiten, als die Eltern ihre Zöglinge als lebensuntüchtig und versponnen abschrieben, wenn diese sie mit dem Vorhaben konfrontierten, Literatur zu studieren oder sich womöglich selbst als Schriftsteller zu versuchen. Wer nichts Handfestes lernen, sondern sein Leben mit der Arbeit an der Sprache verplempern wollte, galt hierzulande als eine Art ehrenwerter Schmarotzer: intelligent, aber ohne Zukunft, bewundernswert, doch verantwortungslos. Die Mischung aus Ressentiment und uneingestandener Verehrung, die das deutsche Bürgertum seinen Dichtern, Kritikern und Schriftgelehrten entgegenbrachte, hat hochfliegende Geister in Verzweiflung gestürzt, aber auch die Entstehung einer Literaturboheme befördert, deren antibürgerlicher Habitus zu bewahren suchte, was die Bürger nur versprachen, um es wieder zu verraten. Die schärfsten Kritiker der deutschen Sprache wie Karl Kraus und Fritz Mauthner, aber auch polemische Aphoristiker wie Lichtenberg oder Nietzsche wären ohne dieses geistige Klima undenkbar gewesen.

Inzwischen ist die Boheme digital geworden, Autoren heißen nicht mehr "Literaten", sondern "Profitexter", und man begegnet ihnen nicht mehr mit kleinbürgerlichem Ressentiment, sondern mit kleinbürgerlichem Lob. Denn schließlich, so hat man dank marketingpsychologischer Hirnwäsche gelernt, ist ein Text nichts anderes als eine Wurst: Man kann ihn kaufen, verschlingen, verdauen und mit dem Endprodukt, wenn alles gutgeht, das eigene geistige Feld düngen, damit die Stilblüten besser sprießen. Zwecks Pflege der heimischen Scholle noch das schillerndste Gold in autochthone Scheiße zu verwandeln, war schon immer eine deutsche Lieblingsbeschäftigung.

Daß auch das eher luftige "geistige Eigentum" auf ähnliche Weise konvertiert werden möge, dafür setzen sich seit gut zwei Jahren einige jungdynamische Recken ein, die sich im November 2007 in der "Protextbewegung" (www.protextbewegung.de) zusammengeschlossen haben, um eine "Kampagne für hochwertigen Profitext" zu lancieren. Ihre Avantgarde, die "Textguerilla" (www.textguerilla.de), betreibt einen eigenen "revolutionären Blog", um für faire Textpreise zu kämpfen, gegen gemeinen "Textklau" vorzugehen, zu verhindern, daß jeder x-beliebige schreiben darf, nur "weil er mal eine Eins in Deutsch hatte", und die universale Durchsetzung von Mindeststandards für "Profitexte" einzuklagen. Zu ihren Kooperationspartnern zählen Journalisten-, Designer- und Lektorenverbände, aber auch der Börsenverein des deutschen Buchhandels. Einige prominente Wahlverwandte der Bewegung wie Sascha Lobo und Mercedes Bunz haben jüngst in einem Manifest (www.internet-manifest.de) das World Wide Web zum wichtigsten Austragungsort des globalen Textkampfes erklärt.

Indessen belehrt schon ein oberflächlicher Blick auf die Textkremente der Protagonisten, daß es mit dem aktivistischen Pathos ihrer Verlautbarungen nicht weit her ist: Wo man auch hinschaut, nirgends findet sich eine Spur von Sprachbewußtsein, Phantasie oder Entdeckergeist, statt dessen eine deprimierende Mischung aus Oberflächlichkeit, Pingeligkeit und Dreistigkeit, mit der sich die Protextbewegten nolens volens als Erben der deutschen Sprachreiniger des ausgehenden 19. Jahrhunderts erweisen. Ebenso humorlos und talentfrei wie jene fuhrwerken sie in den Veröffentlichungen renommierterer Kollegen herum, um vermeintliche Stilbrüche, allzu komplexen Satzbau oder überflüssige Fremdwörter aufzuspüren. Zwar marschieren sie nicht mehr mit straffem Seitenscheitel, Börries von Münchhausen im Tornister und Gewehr bei Fuß auf, sondern sitzen mit gegeltem Wuschelhaar, "Cicero" in der Aktentasche und geöffnetem Laptop am Kaffeehaustisch, doch in ihrem Haß auf den Geist und in ihrer aggressiven Vorliebe für "Verständlichkeit" sind sie ihren Ahnen gleichgeblieben. "Profitexte", so dekretieren sie im Stil preußischer Oberlehrer, seien "logisch aufgebaut, klar gegliedert und übersichtlich strukturiert", vermittelten "eine klare Botschaft", enthielten "keine Füllwörter" und "keine unnötigen Fremdwörter", bedienten sich "aktiver Formulierungen" und einer "bildhaften Sprache", müßten aber auch - hier löst der Propagandaminister den Pädagogen ab - Überschriften aufweisen, die "neugierig machen" und eine "zielgruppengerechte Ansprache" enthalten. Damit der gesunde Menschenverstand, mit dem jeder Demagoge zu rechnen hat, nicht unbefriedigt bleibt, wird außerdem gefordert, ein "Profitext" müsse "alle relevanten Fakten, sorgfältig recherchiert und doppelt geprüft", enthalten, propagandistische Eindeutigkeit und konformistische Schmeichelei also mit engstirniger Bodenständigkeit verbinden.

Wer kein Profitexter ist, der wird sich in seiner Naivität jetzt vielleicht fragen, welche Texte das denn sein sollen, die nicht nur Fakten, sondern auch eine Botschaft enthalten, die bildhaft und logisch zugleich sind. Poesie? Wohl kaum, denn weder Goethe noch Brecht haben ihre Dichtungen, soweit bekannt ist, "doppelt geprüft". Erörternde Prosa oder Essays? Die sind meist eher abstrakt als bildhaft und entbehren oft genug jeglicher Botschaft. Und überhaupt: Welcher Text, der uns je in den Bann geschlagen hat, wäre ohne Füllwörter ausgekommen, hätte die Regeln der Logik strikt beachtet oder eine klare Botschaft gehabt? Wer so fragt, beweist damit nur, daß er immer noch zu den outrierten Schöngeistern gehört, denen die Protextler mit Vorliebe Fehler und Verquastheiten nachweisen. Ein guter Text ist für sie nämlich kein Austragungsort von Gedanken, sondern gleicht eher einem guten Stuhlgang: Er soll möglichst schmerz- und anstrengungslos sein, sich in einem Rutsch absolvieren lassen und darf uns nicht allzu lange beschäftigen, schließlich hat jeder Mensch auch so schon genug zu tun. Nur eine Gattung erfüllt diese Voraussetzungen: der Werbetext. Fast alle Protextler arbeiten denn auch als PR-Manager, Werbelektoren, Kommunikationsdesigner oder "Kulturvermittler", mithin in jener Branche, in der es tatsächlich notwendig ist, jeden Mist in Sprache zu verwandeln, sofern man nicht zum Dauerkunden der Arbeitsagenturen werden möchte.

In Zeiten, in denen selbst große Qualitätszeitungen die Zeilenhonorare ihrer freien Mitarbeiter halbieren, Anzeigen- und Werbeeinnahmen drastisch zurückgehen und die Leser scharenweise ins Internet abwandern, verwandelt sich aber auch jeder Journalist tendenziell in einen Kommunikationsdesigner, PR-Manager oder Kulturvermittler, dessen Aufgabe nicht mehr Information, Analyse und Kritik, ja nicht einmal die Verbreitung von Weltanschauung, sondern bloße Propaganda ist. Von der Weltanschauungspflege der altehrwürdigen bürgerlichen Presseerzeugnisse, auf die heute nur noch zwecks "linken" Distinktionsgewinns geschimpft wird, unterscheidet sich Propaganda durch ihre blanke Inhaltslosigkeit. Ihre Sprache ist nicht "ideologisch" wie die Sprache bürgerlicher Journale, sie gibt sich nicht die Mühe, niedere Absichten als hehre Ideale zu fingieren, sondern betreibt die Konvergenz von Hohlheit und Gewalt: Weder von Weltanschauung noch von kritischem Geist getrübt, der gegen sie kaum etwas vermag, ist sie roh und geschmeidig, differenziert und totalitär zugleich. Deshalb ist ein Text für sie nur dann "gut", wenn er keinerlei Gedanken, und sei es in Form bornierter "Anschauungen", enthält. Die Subjektivität, die sich im kuriosen Fremdwort, im bis zum Zerreißen gespannten Satzbau, in der Verweigerung schaler Bildlichkeit, ja sogar im Stilbruch und in der verrutschten Metapher artikuliert und die eins ist mit dem Leben des Geistes, soll getilgt werden, damit Sprache wieder unmittelbar zu jenem Schlag ins Gesicht werden kann, den sie in besseren Zeiten mitunter verhindert hat.

Nicht umsonst heißt, wem das gelingt, nicht mehr "Autor", sondern "Profi": Der Profi praktiziert seine Tätigkeit als Mischung aus besessener Perfektion und masochistischer Routine. Vom Gelegenheitsschreiber unterscheidet er sich durch die brutale Emphase, die er in die Produktion seiner Texte investiert, mit der er etwaige Konkurrenten aussticht, eifersüchtig über sein Copyright wacht und für jedes Produkt den höchsten Preis aushandelt. Vom Autor aber trennt ihn die in Gewohnheit und Fremdbestimmung erstarrte Selbstqual, mit der er eine Arbeit verrichtet, die ihm nicht mehr bedeutet als dem Hartz-IV-Empfänger sein Ein-Euro-Job. Anders als der Autor ist der Profi konstitutionell unfähig zur Selbstbesinnung. Es reizt ihn nicht, sich zumindest temporär von der grausamen Praxis, die Alltag heißt, zurückzuziehen, um in sich und dadurch aus sich herauszugehen, sondern er steigt mit jedem Text aufs neue in den imaginären Ring, um im Kampf gegen die nicht minder verbissen vor sich hinwurschtelnden Konkurrenten das Beste herauszuschlagen. Wie er unfähig ist, allein zu sein, weil man als Profi nur vor anderen etwas gilt, so ist er kaum noch in der Lage, hinter verschlossener Tür zu arbeiten. Daß er nur schreiben kann, wo er nicht zum Denken kommt, erscheint ihm als Zeichen spritziger Kommunikativität, die ihm in der U-Bahn oder beim Latte Macchiato kreative Höhenflüge ermöglicht. In Wahrheit ist er, während er seinen Unrat produziert, der seine "Zielgruppe" genauso anödet wie ihn selbst, in ständiger Bereitschaft, für höhere Ziele mobilisiert zu werden. Gegenüber dem Profitexter waren die gewissenlosen Schreiberlinge, die Karl Kraus in den Letzten Tagen der Menschheit als prospektive Mordbrenner bloßgestellt hat, autonome und gesittete Individuen. Was aus jenen erst werden soll, wenn der Kampf gegen den inneren und äußeren Feind erneut akut wird, mag man sich gar nicht vorstellen.

Die Konversion des Textes zur Wurst resultiert freilich aus äußerst realen Nöten. Nie wurden so viele Texte, ob gedruckt oder virtuell, produziert und konsumiert wie heute. Nie waren die Rezeptionskanäle so vielfältig, aber auch die Lektüreformen so wahllos. Leseratgeber, Hitlisten und Kritikermonster wie Elke Heidenreich sind der evidente Beweis für den irreversiblen Zerfall des literarischen Kanons. Schon empfehlen selbsternannte Kulturpolitiker, man könne angesichts der Rechtschreibreform, die alle vor Mitte der Neunziger erschienenen Bücher für die Schullektüre ungeeignet gemacht habe, die vorreformatorischen Druckwerke kurzerhand aus dem Verkehr ziehen. Routinierter Analphabetismus wird mehr und mehr zur Einstellungsvoraussetzung von Kulturredakteuren, sprachliche Inkompetenz zur Notwendigkeit beim Schreiben akademischer Projektanträge. Die E-Mail, die immerhin die Möglichkeit offenhält, sein Gegenüber auch in der pragmatischen Kommunikation als Individuum zu behandeln, wird ersetzt durch die linguistischen Knockout-Techniken des Twitterns und Simsens, deren Erlernen die Trockenlegung des Großhirns unumgänglich macht. Wer unter solchen Bedingungen die Sprache als Form des Denkens ernst nimmt, kann nicht erwarten, dafür auch noch bezahlt zu werden. Auf diese Misere antworten die Protextler mit der Forderung, wenigstens die rückhaltlose Bereitschaft zur intellektuellen Selbstentschlackung mit entsprechenden Tantiemen zu honorieren. Und diejenigen, die ihnen widersprechen, heißen dann "Kulturkonservative".

Magnus Klaue schrieb in KONKRET 11/09 über Kitsch und Kult um Rosa Luxemburg

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36