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36 Jahre Konkret CD

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Heft 01 2006

Magnus Klaue

Der Neue

Ausstellungen verbieten, Gedichte verbrennen - Bernd Neumann, der neue Staatssekretär für Kultur, bringt große Kompetenz mit.

Wem von Geschichte oder Gesellschaft zu reden zu riskant, von Natur zu reden aber zu abgeschmackt ist, der spricht von Kultur. Besonders in Zeiten knapper Kassen und hohler Köpfe, wenn die flächendeckende Proletarisierung der Mittelschichten unumgänglich, staatlicher Terror gegen Faulenzer an der Tagesordnung und "Luxus" ein Schimpfwort im Munde jener ist, die ihn noch genießen können, scheint es den herrschenden Schichten geboten, daran zu erinnern, daß der Mensch nicht vom Brot alleine lebt. Die jüngst von Jürgen Rüttgers ausgerufene "postmaterielle Kultur" ist insofern ein Pleonasmus: "Kultur" beginnt immer erst, wo von materiellen Grundlagen zu reden sich nicht mehr lohnt - sei es, weil sie auf Dauer gesichert, sei es, weil sie längst den Bach runtergegangen sind. Dem reifen 20. Jahrhundert blieb es vorbehalten, "Kultur" zum bloßen Bindewort zu depravieren, das je nach Gusto vor oder hinter jedes beliebige Substantiv, Adjektiv und Prädikat gekleistert werden kann.

Soviel Kultur wie heute war nie: Es gibt Kulturmagazine, Kulturkanäle, Kulturbüros, Kulturämter, Kulturbrauereien, Kulturministerien, Kulturattachés, Kulturschaffende, Kulturgüter, Kulturgegenstände, Kulturlosigkeiten, die von Kulturkritikern als Zeichen von Kulturverfall gegeißelt werden, eine Kulturindustrie und einen Kulturbetrieb, Kulturtaschen und Kulturbeutel, kulturfördernde und kulturzersetzende Aktivitäten verschiedenster Kulturgrößen. Die deutsche Garten- und Landschaftskultur wird zum Gegenstand kulturpflegerischer Maßnahmen gemacht, zwecks Erhalt der deutschen Sprachkultur werden Kulturstiftungen gegründet, die das nationale Kulturerbe bewahren sollen, es gibt eine Film- und eine Theater-, eine Ernährungs- und eine Erziehungs-, eine Großstadt- und eine Dorf-, eine Hoch-, eine Trivial-, eine Pop-, eine Spaß-, eine Volks-, eine Sub-, eine Mono-, eine Inter- und eine Multikultur. Wie in jeder parlamentarischen Demokratie muß es auch in Deutschland jemanden geben, der den Kram administrativ betreut, konserviert und irgendwann ad acta legt. Seit kurzem heißt er Bernd Otto Neumann.

Er könnte auch anders heißen. Für Neumann sprechen lediglich seine verläßliche Laufbahn als Parteiprogramm-Abnicker, seine Freundschaft mit Helmut Kohl, seine Erfahrungen als protestantischer Akkordeonspieler, sein dezidiert unkünstlerisches Temperament und seine durch nichts zu erschütternde Witzlosigkeit. Das ist nicht viel und könnte von anderen leicht übertroffen werden. Während Neumann sein Leben lang durch keinen einzigen eigenen Gedanken aufgefallen ist, böten sich Grass, Walser oder Biermann mit ihren von konformistischen Windungen gezeichneten, sozusagen labyrinthischen Lebensläufen viel besser an, um jenes schillernde Vakuum zu hüten, das der Begriff "Kultur" deckt. Wo sie erst dank schweißtreibender Umwege und diplomatischer Verrenkungen hingelangt sind, da war Bernd Neumann von Anfang an. Womöglich ist es aber gerade diese Verläßlichkeit, die ihn in den Augen Angela Merkels für das Amt prädestiniert.

Die französische Angewohnheit, die staatliche Kulturpflege Menschen anzuvertrauen, die auf wie immer auch vage Weise tatsächlich selbst zur "Kultur" gehören und womöglich sogar Naturalismus und Impressionismus voneinander unterscheiden können, war hierzulande noch nie durchsetz- bar. Hier muß man spröder Verwaltungsbeamter sein, um zum Diener der Kultur ernannt zu werden. Und vielleicht ist das an sich gar nicht so schlecht. Schließlich gedeiht die Kultur, wie auch die Kanzlerin weiß, am besten dort, wo man den Künst-lern Geld gibt und sie in Ruhe läßt, und dazu sind geistlose Bürokraten oft eher in der Lage als hyperaktive Insiderclowns. Doch leider kommen dem Kulturstaatsminister über die Verwaltung hinaus noch andere Aufgaben zu, deren Erfüllung dem Wachstum der freien Künste eher hinderlich sein dürfte: Er muß jene "Leitkultur" repräsentieren, die sein Kollege vom Ministerium des Innern im Alltag durchprügeln läßt, und jenen "Kultur- und Bildungsauftrag" gleichsam verkörpern, von dem Bildungspolitiker im Dialog mit frustrierten Schülern und Studenten phantasieren. Er hat also, im weitesten Sinne, eine volkspädagogische Aufgabe zu erfüllen.

Welchen Leitlinien er dabei zu folgen gedenkt, hat Neumann in der Vergangenheit mehrfach mit dankenswerter Klarheit gezeigt. Bei einer Diskussion in der Bremer Bürgerschaft über den didaktischen Wert gewisser neuer Formen deutschsprachiger Poesie äußerte er 1977 mit Blick auf Erich Frieds Gedicht "Die Anfrage", er sähe dergleichen "lieber verbrannt". In einer gesellschaftlichen Situation, da jede radikale Kritik an den Verhältnissen in der Bundesrepublik sich der Gefahr aussetzte, als geistige Wegbereitung des Terrorismus diffamiert und buchstäblich mundtot gemacht zu werden, mußten derlei Auswürfe als Aufforderung zu einer neuen Bücherverbrennung interpretiert werden - was Fried denn auch getan hat. Später mokierte Neumann sich über die Türkenverliebtheit der Grünen und setzte sich für ein Verbot der "ungesäuberten" Wehrmachtsausstellung ein. Außerdem streitet er, unter anderem als Mitglied des ZDF-Fernsehrats und als Juror des Deutschen Filmpreises, seit langem für eine gezielte Förderung des nationalen Elements in der Populärkultur. Die staatstragende Bedeutung, die ästhetisch ärmliche Streifen wie "Der Untergang" oder "Das Wunder von Bern" hierzulande in kürzester Zeit im öffentlichen Bewußtsein erlangt haben, verdankt sich wohl nicht zuletzt Neumanns demagogischer Bewerbung "großdeutschen" Filmguts.

Freilich, die konkreten Einflußmöglichkeiten eines Kulturstaatsministers sind eher gering. Kultur ist Ländersache, und daran wird - anders als auf dem Bildungssektor, der künftig wohl gerade durch Föderalisierung dem ökonomischen Ausverkauf ausgesetzt ist - auch die anstehende Föderalismusreform kaum etwas ändern. Aber Entscheidungen für Personen sind selbst auf dem drögen Sektor der Finanzverwaltung (und mit der wird Neumann sich hauptsächlich herumschlagen müssen) immer auch Entscheidungen für Nuancen. Ganz so austauschbar sind die Köpfe nämlich doch nicht, vielmehr braucht jede Zeit ihren jeweils eigenen Popanz. Die Transformation der Sozialdemokratie in eine neoliberal-nationalistische PR-Agentur bedurfte der Begleitung durch einen kulturbeflissenen Hallodri und fand ihn in Michael Naumann. Der Genetik- und Embryonenhype mußte von einem naturwissenschaftlich angehauchten Expertentypen begleitet werden - das war Julian Nida-Rümelin. Die Restitution überkommener Familienmodelle samt Runderneuerung des völkischen Demographiediskurses wurde passenderweise von einer Frau, Christina Weiss, orchestriert. Wenn ihr nun mit Neumann ein amtlicher Unterstützer von Bücherverbrennungen, Berufsverboten und Intellektuellenhatz folgt, läßt das nichts Gutes erwarten. Aber auch nichts Überraschendes.

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Literatur Konkret Nr. 36