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36 Jahre Konkret CD

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Heft 07 2006

Mathias Wedel

Der Knabe

Ein Antikommunist aus dem Gruselbuch

Man hat das oft bei Menschen, die Schlimmes erlitten haben. Sie kommen vom Schmerz nicht los. Sie lüpfen ständig ihre Verbände und zeigen ihre Wunden. Sie werden zu Institutionen des nie vergehenden Leides, Kunstfiguren von beträchtlicher dramatischer Ausstrahlung und eigentümlicher Schönheit. Bärbel Bohley! Analog zu Dalia Lavis "Wer hat mein Lied so zerstört" waren ihr die Bilder "zerstört" worden. Andere hat sie gar nicht erst malen können, weil zwischen all der Bitternis keine Zeit mehr disponibel war. Bohley war die Dalia Lavi des Ostens, fast die gesamten Neunziger hindurch.

Weniger bis gar nicht versehrte Leute betrachten diese Schmerzensfrauen und -männer zuerst mit Neid (denn, so vermuten sie, die haben auf der S-Bahn freie Fahrt oder werden aufs Traumschiff eingeladen), dann mit Haß und aktivieren bösen Witz gegen sie. Daraufhin sind diese neuerlich verletzt, und alles geht von vorne los. Hätte sich Bärbel Bohley nicht nach Restjugoslawien verliebt, wäre Lutz Rathenow nicht zu spätem Dichterruhm gelangt, hätte sich Vera Wollenberger-Lengsfeld-Wollenberger nicht mit Knut versöhnt, wäre Jürgen Fuchs nicht verstorben, Wolfgang Templin nicht sediert und Gerd Poppe nicht in den Staatsapparat berufen worden - noch immer würden viele Seelen weinen.

So bunt diese Originale unsere Welt machen, so gern man sie durch die Studios flattern sah, irgendwo ist es genug. Dieses "Irgendwo" ist seit etwa 1000 vor Christi für die Justiz aller zivilisierten Völker definiert: Die Opfer dürfen zwar Kläger, nicht aber Richter (in eigenen Schmerzensangelegenheiten) sein.

Und jetzt tritt Hubertus Knabe auf den Plan. Der Mann verkörpert Neuwert in der Moral- und Rechtsgeschichte - er ist Opfer, Kläger, Staatsanwalt, Richter, Henker (oder sagen wir Vollzugsbeamter, schließlich empfängt er Gehalt als Chef des Hohenschönhauser Stasiknasts), alles in einer Person. Mehr noch: Er ist auch Chronist ("Historiker"), Leserbriefschreiber und Leserbriefbeantworter und Psychotherapeut ("Stimme der Opfer", die weiterknödelt, wenn jenen das Organ unter der Last der Erinnerungen bricht). Vor allem aber ist er ein Antikommunist wie aus dem Gruselmärchenbuch, in dem sich Gnome, Kobolde und das Einhorn tummeln. Die Figur ist so sehr Klischee, daß man sie sogar jedem Comiczeichner um die Ohren hauen müßte: knochiger Asket in zu kurzer reiß- und feuerfester Arbeitskleidung, starrer, durchdringender Blick, vergiftetes Lächeln, angeklatschte Prinz-Eisenherz-Frisur, unter Aufbietung aller mentalen Potenzen gebremster Speichelfluß und gedrosseltes Redetempo, weich und gewählt das Idiom, in dem er beispielsweise über einen Eiskunstläufer des Sozialismus die gleiche Strafe verhängt, die Herrmann Göring zu Recht ereilte. Denn Ingo Steuer und Herrmann Göring - wo ist da der Unterschied?

Gibt es ein poststalinistisches Phänomen der letzten fünfzehn Jahre, zu dem Hubertus Knabe nicht die Stimme der Opfer erhoben hätte? In dem Film "Sonnenalle" zerbricht eine Schallplatte am Antifaschistischen Schutzwall. Aber sind nicht in Wahrheit Menschen zerbrochen? In den Ostalgieshows knöpft sich Kati Witt ihre FDJ-Bluse auf. Stellvertretend für alle, die gelitten haben, leidet Hubertus Knabe, droht mit Sittendezernat und Opferaufstand. Die Ossis finden die DDR immer weniger schlecht. Knabe findet die Ossis immer schlechter. Eine Firma erfindet "Erich's Duschbad" - Knabe probiert es aus und kündigt an, daß allen Opfern, verschwände das Zeug nicht vom Markt, demonstrativ die Haut bluten werde. Eine Frau aus der Linkspartei wird zu einem Maskottchen des Parlamentarismus gekürt; gleich findet Knabe heraus, die Stasi habe sie "bejubelt". MfS-Offiziere krakeelen in Lichtenberg - Knabe sorgt dafür, daß sie ins Fernsehen kommen, um dann bestätigt zu finden, was ihm das Wichtigste ist, "daß die Stasi 16 Jahre nach ihrer Auflösung alles andere als tot ist". Er braucht sie. Sie ist sein Arbeitgeber.

Dieser männliche Zorn und diese edle Widerständischkeit - was muß der Mann gelitten haben, was haben ihm Mielkes Schergen übel mitgespielt! Hat er die "Wasserfolter", die er für sein Schreckensmuseum erfand, an eigner Knabenhaut erlitten? Hat er in einer der "Folterzellen" eingesessen, deren Anzahl er gern annähernd verdoppelt, weil er Zellen, Büroräume, Teeküchen und Besenkammern (mit ihren Folterinstrumenten) zusammenzählt? Wurde er von den Schließern zum Röntgen geschleppt, damit ihn der Blutkrebs zerfräße - eine Methode, die er auf subtile Weise in seinem Museum der Stasi unterstellt? Hat ihn der schikanöse Schlafentzug, der im ganzen Sozialismus herrschte, zum Neurotiker gemacht, der nunmehr die Öffentlichkeit mit seinen Zwangshandlungen unterhält?

Nein, dieser erste Teil seiner Heldenbiographie ist ihm erspart geblieben - er fing gleich mit dem zweiten an, der Rache für das, was ihm nicht widerfahren ist. Geboren wurde Knabe im beschaulichen Unna. Es folgte die übliche westdeutsche Langweile. Dann wurde er keck und ökologisch und sammelte erste Erfahrungen als Eiferer bei den Grünen. Dann wieder Langweile. Und wäre die DDR nicht zusammengebrochen, er säße heute noch als Bleistifthalter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes irgendwo in Osteuropa herum. Doch rechtzeitig mit der Implosion des Kommunismus und der Knabeschen Bewerbung bei der Gauck-Behörde entdeckte er auch seine kleine Opfergeschichte: Er soll in eine Theologin aus der Zone verliebt gewesen sein (wahrscheinlich nur platonisch). Aber das war noch nicht Folter genug - die Stasi soll ihn wegen dieser Grenzverletzung auch bespitzelt haben.

Für die Gauck-Behörde war Knabe einfach zu brillant. Zu systematischer Arbeit - dem Zusammenkleben von Aktenschnipseln - einfach nicht geschaffen, versuchte er ständig, seinen Dienstherrn in Haßausbrüchen zu übertreffen. Sein Talent als historischer Agitator trat immer schöner zutage, so daß man ihn in den Knast weglobte, auf daß er dort seine Geisterbahn installieren konnte, auf der "echte Opfer" in einer ABM-Lebensstellung den Strecken- und Schreckensdienst übernahmen. Er war überglücklich, in Höhenschönhausen eine gut erhaltene Immobilie vorzufinden, die er als "das Dachau des Kommunismus" dekorieren konnte, mit allem, was Videotechnik und Licht- und Geräuschdesign so hergeben. Diesen Karrieresprung hat der Knabe wohl nie ganz verkraftet. Er überlegte, warum ihn inzwischen so viele westdeutsche Aufarbeitungshistoriker und Journalisten einfach eklig finden. Dann kam er drauf und schrieb sein Lebenswerk Der diskrete Charme der DDR, in dem er klarstellte, daß in summa alle bei der Stasi waren. Außer ihm natürlich - und Jürgen Fuchs, denn wenigstens einer mußte ja geröntgt worden sein.

So hätte das Leben eines Kämpfers für das unveräußerliche Menschenrecht auf Rache und Lynchjustiz eigentlich weitergehen können, wenn der Siegermacht Bundesrepublik nicht das Geld knapp und die Resultate der demokratischen Volksbildung nicht immer schlechter werden würden. Inzwischen erzählen sich die Ossis eine andere DDR weiter als die, die sie im Vergnügungspark Hohenschönhausen geboten kriegen. Ihre ist lustiger; Knabe verflucht beinahe täglich das DDR-Komödienstadl der Filmindustrie. Der gesamte "Aufarbeitungsprozeß" erscheint den Ostdeutschen nur noch als schlecht gestrickte ideologische Erklärung für das, was ihnen nach der Wende widerfahren ist: Gestern Täter, heute Hartz IV. Die Birthler-Behörde, größter öffentlicher Arbeitgeber im Osten, muß natürlich erhalten bleiben. Aber was wird aus Hubertus Knabe? Und wie weiter mit dem Hitlergruß? Oder, um das alles in einem typischen, streng historisierenden Knabesatz zusammenzubinden: "Warum darf man ungestraft mit den Symbolen der SED-Diktatur auf der Straße spazieren, während der Hitlergruß eine Straftat ist?" Es bleibt noch viel zu tun.

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36