Freitag, 3. Mai 2024
   
Startseite Konkret Hefte Konkret Texte Sonderhefte Konsum Online Konkret Verlag

Das aktuelle Heft



Aboprämie



Studenten-Abo



Streetwear



36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 03 2003

Stefan Frank

Der große Coup

Alle reden über Öl und merken nicht, daß es den USA um etwas ganz anderes geht

Die nordirakische Stadt Mossul war schon im Mittelalter unter europäischen Geschäftsleuten berühmt, von dort kam der Musselin genannte Stoff. Die vornehmlich aus Genua stammenden Händler, die ihn nach Europa importierten, hießen Mussolini, so entstand der beliebte italienische Nachname.

Heute sind Mossul und die Nachbarstadt Kirkuk vor allem wegen der in ihrer Umgebung liegenden Ölfelder bekannt. Daß die Türkei an ihnen Interesse hat, hat Peter Nowak kürzlich dargestellt ("Vorstoß nach Kirkuk", KONKRET 11/02). Nun sind uralte Verträge aufgetaucht, die die Türkei zu Ansprüchen auf dieses Öl berechtigen sollen. "Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen", dachte sich der türkische Außenminister Yasar Yakis und sagte der Tageszeitung "Hurriyet": "Wenn wir solche Rechte besitzen, müssen wir das der internationalen Gemeinschaft und unseren Partnern erklären, um diese Rechte zu sichern." Was der Türkei bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche helfen wird, sind allerdings wohl weniger dubiose Verträge, als die 5.000 türkischen Soldaten, die sich bereits im Nordirak aufhalten.

Wenn auch feststeht, daß nach dem Krieg eine "Neuordnung" der irakischen Ölindustrie ansteht, ist es doch eher unwahrscheinlich, daß die "Partner" bereits die gesamte Beute aufgeteilt haben. Die nun zwölf Jahre andauernden Sanktionen haben zum Verfall der irakischen Infrastruktur geführt, viele Ölquellen sind versiegt, Exploration fand kaum statt. Zunächst wird also wohl eine Reihe von technischen und ökonomischen Expertisen erstellt werden müssen, um den Wert der Felder zu ermitteln. An der Reparatur und Erweiterung der Förderanlagen und Pipelines werden erst einmal die dafür zuständigen Service-Unternehmen verdienen, vor allem Schlumberger und Dick Cheneys ehemaliges Unternehmen Halliburton. Auch müssen die Kosten für die Besatzung aus den Öl-Erträgen bezahlt werden. Sie werden auf zwölf Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt - oder noch höher.

Was kommt dann? "Die Ölfelder gehören dem irakischen Volk", sagt US-Außenminister Colin Powell. Aus der Sprache der Diplomaten übersetzt, heißt das: Neben Unternehmen der USA und Großbritanniens können vielleicht auch Rußland, Frankreich und China noch hoffen, daß ihre Konzerne am Ölgeschäft beteiligt werden. Unternehmen aus diesen Ländern haben bereits Verträge im Wert von mehreren Milliarden Euro abgeschlossen. Die britische Tageszeitung "Observer" berichtete im Oktober unter Berufung auf Quellen in der Pariser Regierung, Frankreich werde sich möglicherweise sogar am Krieg beteiligen, aus Angst, sonst später leer auszugehen.

Rußland ist in einer ähnlichen Lage: Als das irakische Energieministerium am 12. Dezember plötzlich einen wichtigen Vertrag mit drei russischen Ölkonzernen kündigte, war aus Moskau zu hören, daß damit ein entscheidender Grund für den russischen Widerstand gegen einen Krieg wegfalle. Andererseits erinnert man sich daran, daß die USA die Versprechen, die sie Putin im Herbst 2001 als Belohnung für seine Unterstützung des Krieges in Afghanistan gaben (vor allem die Aufhebung von Handelsbeschränkungen), nicht gehalten haben.

Der "Economist" (25.1.03) kommt zu dem Ergebnis, die Instandsetzung der irakischen Ölindustrie werde so lange dauern und so hohe Kosten verursachen, daß diejenigen widerlegt seien, die behaupteten, die Kriegspläne der USA seien vom Ziel eines niedrigen Ölpreises bestimmt. Das ist wahr - tatsächlich geht es natürlich um die langfristige Wahrung energiepolitischer und geostrategischer Interessen.

Oder geht es vielleicht überhaupt nicht um Öl? Wer Materialismus für unfein hält, der kann natürlich auch behaupten, "der 11. September" habe in den USA zu der Erkenntnis geführt, daß der Nahe Osten wohl ein bißchen verändert und demokratisiert werden müsse. Dabei stößt man dann allerdings auf den lustigen Zufall, daß dieselben Leute, die heute den Umsturz (im Irak) anstreben, dies bereits seit vielen Jahren tun. Die Gruppe Project for the New American Century wandte sich im Mai 1998 mit einem offenen Brief an den Mehrheitsführer im Senat, Trent Lott, in dem ein - notfalls gewaltsamer - Regimewechsel im Irak verlangt wurde, um die "lebenswichtigen Interessen der USA und ihrer Verbündeten" zu schützen. Neben Rumsfeld und seinem heutigen Stellvertreter Wolfowitz unterzeichneten unter anderem: Zalmay Khalilzad, John Bolton, Richard Perle und Richard Armitage.

Khalilzad, ein gebürtiger Paschtune, verhandelte zu dieser Zeit mit den Taliban über den Bau einer Pipeline durch Afghanistan, im Auftrag der Firma Unocal (Slogan: "Improving people's lives wherever we are"). Später wurde er Bushs Afghanistan-Berater. Bolton und Armitage gehören heute zu den wichtigsten Personen im Außenministerium. Perle wurde unter Bush Vorsitzender des Defense Policy Board (er äußerte im November, daß die USA den Irak auch dann angreifen werden, wenn Blix keine Beweise für Massenvernichtungswaffen findet).

Welche die "lebenswichtigen Interesssen" sind, darüber läßt der im Mai 2001 veröffentlichte US National Energy Policy Report ("Cheney-Report") keinen Zweifel: Im Jahr 2020 werden die Golfstaaten zwischen 54 und 67 Prozent des gesamten Öls produzieren. "Also wird die globale Ökonomie so gut wie sicher weiterhin von der Ölversorgung durch Opec-Mitglieder, besonders vom Golf, abhängen. Diese Region wird für die US-Interessen lebenswichtig bleiben." Die Empfehlung der Kommission lautet: "Die NEPD-Gruppe empfiehlt, daß der Präsident der Sicherung der Energievorräte in unserer Wirtschafts- und Außenpolitik Vorrang einräumt." Das macht er.

Hat je ein imperialistischer Staat seine Ziele so offen formuliert? Alles ist im Internet jedem zugänglich. Da liegt es nahe, eine Finte zu vermuten: Die USA lassen alle Welt glauben, es gehe ihnen bloß um das schnöde Öl. So abgelenkt, merkt niemand, daß sie heimlich an ihrem Hauptziel arbeiten, der Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten - "improving people's lives wherever we are".

Stefan Frank schrieb in KONKRET 2/03 über die Rürup-Kommission

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36