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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 09 2004

Hermann L. Gremliza

Der dreissigste Geburtstag

1997 wurde KONKRET vierzig, und sieben Jahre später feiert die Zeitschrift den Dreißigsten

KONKRET, als Zeitschrift für Politik und Kultur Mitte der Fünfziger von jungen, verbotenen Kommunisten gegründet, dann von einem vorübergehend zum Nationalkommunisten konvertierten Hitlerjungen usurpiert und in den besten Jahren von den Kolumnen der Ulrike Meinhof geprägt, war im November 1973 in Konkurs gegangen. Die nächste Ausgabe der Zeitschrift erschien im Oktober 1974 im Neuen KONKRET Verlag. Dessen Gründer ist seit dreißig Jahren Herausgeber der ältesten und am weitesten verbreiteten linksradikalen Zeitschrift in Deutschland, die, wenn kein Weltuntergang dazwischenkommt, in drei Jahren fünfzig wird.

Zur Feier des 30. Geburtstags hat der Verlag Autoren und Interview-Partner aus drei Jahrzehnten eingeladen, Gremliza etwas zu fragen, was sie immer schon von ihm wissen wollten. Einige antworteten unwirsch (Herbert Achternbusch: "Was soll der Schmarrn?"), manche ennuyiert (Christel Dormagen: "Mit Bartleby zu sprechen, I would prefer not to"), andere rieten dem Jubilar ab, seine Eitelkeit auszustellen, aber da waren zu viele Fragen schon eingegangen, um ein Zeichen neuer Bescheidenheit nicht auch als eines neuester Feigheit erscheinen zu lassen. Und also antwortet Gremliza.

Walter Baier, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Österreichs, verteidigte in KONKRET 2/2004 die USA und Israel gegen zwei linke Antisemiten:

Was, lieber Hermann, kann und soll die Linke Deiner Meinung nach in "unserem" insgesamt privilegierten Fünftel der Welt tun, um der selbstzerstörerischen Dialektik des heutigen Kapitalismus und seiner patriarchalen Kultur gegenzuhalten? Nein, ich frage nicht nach Programm oder Weltformel, sondern nach Deiner persönlichen skizzenhaften Antwort auf die noch immer brennendste Frage aller Bewegungen: Was tun? Das wollte ich Dich nämlich wirklich immer schon fragen.

Gremliza: Mitte der siebziger Jahre beschrieb KONKRET unter der Liedzeile "Die Erde wird rot" eine Welt, deren Staaten, einer nach dem andern durch Nationalrevolutionäre von neokolonialer Herrschaft befreit, zu jenem Block stießen, dessen Kern die Sowjetunion, die Erbin des Roten Oktober, bildete. Wie sehr der Name ihres Sängers (Biermann) vor der Prognose hätte warnen müssen, wußte damals außer dem Ministerium für Staatssicherheit nur Michael Scharang.

Die Welt ist - unter jubelnden Jodlern des Barden - schwarz geworden und wird es lange bleiben. Zeit genug für die Roten, ihre Niederlage zu bedenken, und wie zu erklären sei, daß die vierzig oder 75 Jahre, in denen die Erben der Oktoberrevolution Erziehung und Bildung im Osten Europas bestimmten, dort so gut wie keine Kommunisten hinterlassen haben, aber jede Menge völkische Idioten; warum realexistierende Sozialisten als platteste Sozialdemokraten Karriere machten und ihre ganze "Aufarbeitung der Vergangenheit" darin bestand, Genossen, die das Fähnchen nicht schnell genug in den neuen Wind gehängt hatten, beim Klassenfeind a. D. zu denunzieren. (Daß beider moralisch erstklassige Gegner, die Anhänger eines Kommunismus mit menschlichem Antlitz, zusammen mit den Kommunisten verschwinden würden, hat uns zwei alte Traditionalisten weniger überrascht.)

Du kennst den Brief, den der Verleger seinem Autor Marx schrieb: Er sei mit der Abgabe des Manuskripts zu dem Werk Das Kapital bereits drei Monate im Verzug, und liefere er es nicht demnächst ab, sehe der Verlag sich gezwungen, "einen anderen Autoren mit der Arbeit zu betrauen". In dieser Anekdote steckt die Antwort auf das "Was tun?" Deiner Frage: Den Autor zu finden, der die Welt nach dem vorläufigen Endsieg des Kapitalismus auf den Begriff bringt, einen Begriff, der aber vielleicht doch nicht "selbstzerstörerische Dialektik des heutigen Kapitalismus und seiner patriarchalen Kultur" heißt.

Bis dahin genügt zu wissen, "was nicht tun": Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, immer noch, aber auch nie wieder "breites antikapitalistisches Bündnis", nie wieder Sozialneid statt Sozialismus, nie wieder billigende Inkaufnahme völkischer Ressentiments, nie wieder Antisemitismus, auch wenn er Antizionismus heißt. Heute steht in der Zeitung, der "Hamburg-Koordinator der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit", ein Mann, der von der Studentenbewegung bis zum PDS-Vorstand immer "all dor" war, halte den angekündigten Beitritt ehemaliger Mitglieder der Schill-Partei zu seinem Verein für "nicht unbedingt problematisch". In Magdeburg, schreibt das Blatt, hätten sich die 6.000 "Montagsdemonstranten" gegen die Sozialpolitik der Bundesregierung von hundert Neonazis anführen lassen, und in Köthen bei Dessau habe der Kreisvorsitzende der "Republikaner" die entsprechende Demonstration mitorganisieren dürfen. Da weiß man doch, was nicht tun.

*

Luc Jochimsen, um 1980 Autorin von KONKRET, "Sexualität KONKRET" und "Sport KONKRET", Redakteurin beim NDR, später Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, war zuletzt Spitzenkandidatin auf der PDS-Landesliste für den Bundestag:

Warum ist die DDR zugrunde gegangen?

Gremliza: Eine Menschheitsfrage wie diese läßt sich vielleicht in einem Buch von sechshundert Seiten beantworten. Und auch das nur, wenn sein Inhalt in dem einen Satz aufzuheben wäre: Die DDR ist untergegangen, weil sie nicht kommunistisch war.

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Martin Sonneborn, Chefredakteur der "Titanic", 1997 mit einem Satz, der die Namen Schmidt und Kreon enthielt, in die Hall of fame der KONKRET-Autoren aufgenommen:

Lieber Gremliza, stimmt es eigentlich, daß sämtlicher Gewinn aus den KONKRET-Lesereisen direkt in Ihr aus astreiner Walfisch-Vorhaut gefertigtes Großraum-Portemonnaie wandert?

Gremliza: Ja. Warum? (Copyright-Vermerk: Es handelt sich hier um die Antwort, die ein Besucher der Württembergischen Staatsoper seinem Nebenmann auf die Frage gegeben hat: "Hend Sie end Hos' gschisse?")

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Michael Scharang, österreichischer Schriftsteller (Das jüngste Gericht des Michelangelo Spatz), KONKRET-Autor seit 1976:

Ist der Sozialstaat, die Erscheinungsform des sozialen Fortschritts im Kapitalismus, ein Hemmnis des sozialen Fortschritts?

Gremliza: Du bringst den Freund, den ich mich nennen darf, in Verlegenheit. Ich habe versprochen, jede Frage zu beantworten, weil ich glaubte, darauf vertrauen zu können, daß die Fragen meine Intimsphäre respektierten. Soll ich mich jetzt als heimlicher Anhänger der Verelendungstheorie outen? Gestehen, daß ich die Existenz einer Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD für das dickste Bollwerk gegen den Fortschritt halte? Und angesichts des wirklichen Elends doch nicht anders kann, als die zu hassen, die es bereiten?

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Karl-Heinz Dellwo, von 1975 bis 1993 wegen des Anschlags auf die Botschaft der BRD in Stockholm in Haft, gab zusammen mit den Gefangenen Lutz Taufer und Knut Folkerts in der Justizvollzugsanstalt Celle ein Interview, das - geführt von Thomas Ebermann, Rosita Timm und Gremliza - im Juni 1992 unter dem Titel "Sie wollen uns auslöschen" in KONKRET erschien:

Warum immer wieder neu vor allem das Abarbeiten, das Entlarven, das Vorführen von denen, die wie die Arschbacken zur Sau gehören, die durchs Dorf jagt? "Er lügt" (jüngstes Beispiel, KONKRET-Titel zu Schröder). Tatsächlich? Wen wundert's? Wissen wir jetzt mehr? Könnte er anders - was dann? Was ist die Linke? Der negative Bezug auf die herrschenden Verhältnisse und ihre Repräsentanten?

Gremliza: Was das "jüngste Beispiel" angeht, so habe ich bei Lektüre der Presse (inklusive der als links geltenden) keinen Beitrag gefunden, der die Rede des Kanzlers bei den D-Day-Feiern als eine die neuere deutsche Geschichte auf neueste Weise revidierende Lüge analysiert hat. Wen es wundert? Nicht viele, vielleicht. Aber nicht weil alle es wissen, sondern weil's keinen interessiert. Denn was immer die Linke ist - die deutsche Linke ist zuerst deutsch.

Pflicht des Revolutionärs ist es, Revolutionen zu machen, wenn sie zu machen sind. Wer sich an Verhältnissen zu schaffen macht, die sich nicht umstürzen lassen, landet als Idealist in der Zelle von Celle oder als Lump in der Dienstvilla des Außenministers. Besseres, als die herrschenden Verhältnisse zu negieren, kann eine intelligente Linke mit dem angebrochenen Jahrhundert nicht anfangen.

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Ernst Kahl, Hamburger Maler, Autor mehrerer KONKRET-Titelbilder sowie der Kolumnen "Kahl macht Ernst" und "Kongretchen - Die Seiten für das aufgeweckte Kind":

Ich wüßte gerne, warum die KONKRET-Redaktion die Veröffentlichung des beigefügten Blattes in meiner Bilderrubrik "Kahl macht Ernst" 1992 nicht zuließ.

Gremliza: Es war ein Exzeß politischer Korrektheit. Sie hat in KONKRET nicht gesiegt und ist mir dennoch sympathischer geblieben als fast alle ihre Kritiker. Fast, Ernst, bist Du.

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Adrienne Goehler, damals Abgeordnete der Hamburger Grün-alternativen Liste, beteiligte sich 1989 am KONKRET-Streitgespräch "Krüppelschläge - Wie weit reicht das Selbstbestimmungsrecht der Frau?" Heute ist sie Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds von Berlin in der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur:

Lieber Hermann, ich hätte gerne gewußt, was Du in den letzten 30 KONKRETen Jahren über das Geschlechterverhältnis verstanden hast und wie Du Dich aus dem Ärgernis herausredest, daß die Redaktion ein weitgehend Frauen-freier Raum ist und die vertretenen Frauen gerne für die vermeintlich politisch eher unverfänglichen Themen (Buch & Deckel, Kunst & Gemüse, Kirche & Kinder ...) verantwortlich zeichnen. Willst Du nicht schwäbisch-ähnlich KONKRET einen Untertitel geben, etwa: KONKRET - das ätzende Männermagazin?!

Gremliza: Ein schöner Zug, Adrienne, daß Du lieber mir ins Herz schaust als den Tatsachen ins Gesicht: Verlegerin (alleinige geschäftsführende Gesellschafterin) von KONKRET ist eine Frau; Leiterin der Anzeigenabteilung: eine Frau; verantwortlich für eins der beiden Redaktionsressorts, das etwa die Hälfte des Heftes füllt: eine Frau. Aber Du hast schon recht: Fast alle Autoren, die dieser - von zwei Alibi-Männern abgesehen - Männer-freie Verlag der Öffentlichkeit präsentiert, sind männlichen Geschlechts.

Warum? Wegen des Geschlechterverhältnisses, von dem ich so viel verstanden habe, daß der unterdrückte Mensch deshalb ein unterdrückter heißt, weil ihm die Entfaltung seiner Möglichkeiten beschnitten wird, je länger desto nachhaltiger, weshalb die Anzahl der Arbeiterkinder unter den KONKRET-Autoren nicht größer sein dürfte als die der Frauen. Es gibt wenige Männer, die schreiben haben lernen können, und, aus dem nämlichen Grund, noch weniger Frauen. Von den wenigen (Männern wie Frauen) scheiden als Autoren von KONKRET alle aus, die Freunde der herrschenden Verhältnisse sind, Wähler und Wählerinnen, Funktionäre und Funktionärinnen der Grünen, auch Autorinnen oder Chefredakteurinnen der "Taz", die schon mangels hinreichender Alphabetisierung nicht in Betracht kämen. Alle, die dann noch übrigbleiben, schreiben in KONKRET oder sind eingeladen, es zu tun.

*

Dieter Kosslick, um 1979 zusammen mit Nick Barkow und Gremliza Gründungsmitglied eines dreiköpfigen Abba-Fanclubs, stolperte als Redakteur für Umweltfragen bei KONKRET 1983 über die von ihm verantwortete Überschrift "Neues vom Holzschutz". Heute ist Kosslick Chef der Berliner Filmfestspiele "Berlinale":

Stimmt es, daß die Anzeigenabteilung unter dem Kollegen Alberti nie Einfluß auf den redaktionellen Teil von KONKRET genommen hat?

Gremliza: Es stimmt, wie Du weißt, sowas von überhaupt nicht. Als Ulrich Alberti amtierte, mußte der Herausgeber jeden Monat seine Kolumne vor Drucklegung beim Leiter der Anzeigenabteilung vorlegen, der mit fetten Strichen dafür sorgte, daß die in KONKRET werbende Wirtschaft nicht durch die Verwendung von Worten wie Scheiß Ausbeuter oder Kapitalistenschweine irritiert wurde, zwei meiner Lieblingsworte, die deshalb in keiner Ausgabe der Albertizeit zu lesen waren.

*

Hans Modrow, von November 1989 bis April 1990 Ministerpräsident der DDR, später Ehrenvorsitzender der PDS und Europaabgeordneter, berichtete 1999 in KONKRET, wie es in den Verhandlungen zur Liquidierung der DDR zugegangen war:

In der erweiterten EU zeichnen sich Tendenzen von Fremdenhaß und Antisemitismus sowie zu einem neu aufgewärmten Antikommunismus ab. Was will KONKRET tun, um dazu beizutragen, daß solchen Erscheinungen entgegengetreten wird?

Gremliza: Das ist sehr freundlich gefragt. Nehmen Sie es darum bitte nicht als billige Retourkutsche, wenn ich zurückfrage: Warum trifft, was in KONKRET seit der Erweiterung Deutschlands über den gerade auch in angeblich linken Regionen virulenten Antisemitismus zu lesen war, in den Publikationen Ihrer Partei auf nichts als Leugnung oder Ignoranz? Und warum macht einer, der bei seinen Genossen über so viel Renommee verfügt wie Sie, von antisemitischen und anderen völkischen Tendenzen in seiner Partei und deren Wählerschaft so wenig Aufhebens?

*

Horst Tomayer, KONKRET-Hausdichter, Kolumnist (ab 1982 "Deutsche Gespräche", seit 1986 "Tomayers ehrliches Tagebuch") und die bessere Hälfte des "Sehr gemischten Doppels", das seit Jahren landauf landab landunter nichtendenwollende Ovationen einstreicht:

Betrifft: Gemisches Doppel (Du Wasser und Wahrheit, ich Dichtung und Dosenbier)

Siehst Du in meinem zwergigen Endreim-Oeuvre/Wenigstens ein einziges Riesengedicht/Das mein Fleisch wird überdauern/Hörmie, sag es mir, Lieber, statt nicht

Gremliza: Erst wenn die "Literarische Welt" nicht mehr wissen wird, daß einmal eine Seebacher war, ein Kopper und ein Grünbein, in zirka fünf bis fünfzig Jahren also, wird im Verlag Unseld sel. Witwe ein Band mit dem Titel Der Bänker und die Kanzlerswitwe erscheinen, enthaltend neben anderen Riesengedichten auch das vom endogen Slowenischen des Slowo Wenja, mit den unverderblichen Versen:

"... Es entbehrte der Benörgelung des Wetters

Und der Reflektion des Generationskonflikts

Der Hinterfragung der Pläne Gottes

Und des Beförderungserschleichungsdelikts

... Es bezog sich praktisch auf niemand

Und auch jemand fand nicht statt

Und unerwähnt blieben Währung

Und Fluß und Land und Stadt

Nie werde ich vergessen

Slowo Wenjas slowenischs Gedicht

Und sein massives Verzichten

Auf Bedeutungsübergewicht"

*

Karsten D. Voigt warb 1970 als Vorsitzender der Jungsozialisten (und Vorgänger von Heidi Wieczorek und Gerhard Schröder) in einem "Spiegel"-Gespräch (mit dessen Redakteuren Zeuner und Gremliza) für das jugoslawische Modell des Sozialismus. Die Antwort auf die Frage "Hat es noch Sinn, in der SPD zu sein?", die ihm KONKRET 1978 stellte, beantwortet sein Briefkopf von 2004 sehr praktisch, denn dort heißt es, er sei Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, Berlin:

Auf welcher Analyse und Motivation beruht die - aus meiner Sicht - erfreuliche Unterstützung des Existenzrechtes Israels durch KONKRET, und worauf beruht die über die berechtigte Unterstützung des Selbstbestimmungsrechtes der Palästinenser und über eine legitime Kritik der israelischen Regierungspolitik hinausgehende häufig äußerst emotionale Anti-Haltung zu Israel in Teilen der bundesdeutschen Linken?

Gremliza: Mich freut, Karsten, daß Dich die Unterstützung des Existenzrechts Israels durch KONKRET erfreut, und Dich stört, hoffe ich, nicht, daß ich die Frage nach Analyse und Motivation als eine rhetorische übergehe. Mehr noch freute mich, wenn Du die Unterstützung nicht des abstrakten Existenzrechts, das nicht einmal Arafat mehr zu bestreiten sich traut, sondern der konkreten Existenz Israels, um die es uns geht, erfreulich gefunden hättest. Mir scheint zwar, Du neigst dazu, kannst es aber in einer Regierung, welche die antisemitische Mehrheit der Deutschen bei jeder Kritik an deren Judenhaß, den auch Du lieber "äußerst emotionale Anti-Haltung" nennst, mit dem Hinweis besänftigen muß, daß Kritik an der israelischen Politik legitim sei und Parteinahme für die Palästinenser berechtigt, nicht so sagen. Das ist, nach einem vierzigjährigen Marsch durch die Institutionen, verständlich, hat aber Folgen und zuvörderst die, daß die äußerste emotionale Antihaltung zu Israel, also der Antisemitismus, nicht nur in Teilen der bundesdeutschen Linken unter der unentwegten amtlichen Aufforderung, die Palästinenser zu unterstützen und die Israelis zu kritisieren, um so prächtiger gedeiht.

*

Georg Fülberth, Literatur- und Politikwissenschaftler, Professor in Marburg, KONKRET-Autor seit 1984:

Wie oft warst Du versucht, das Blatt einzustellen - aus Mangel an Geld und/oder sofortiger Wirkung -, warum hast Du es nicht getan, und was bedeutet das für die Zukunft?

Gremliza: Die Versuchung war so groß nie, denn wann immer ich merkte, daß der Verlag in die roten Zahlen gerutscht ist, war es für einen warmen Abbruch zu spät. Und wie es scheint, könnte das immer so weitergehn.

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Jürgen Trittin, der in KONKRET 1979 erklärte, was heute links sei - der Sozialismus jedenfalls nicht, der sei reaktionär -, ist heute Bundesumweltminister:

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen den Kanonen von Valmy und der manuellen Tätigkeit der Gabriele Henkel außer Deiner unglaublichen Strickjacke?

Gremliza: Womit man doch Eindruck hinterläßt ... Vor 15 Jahren schon hatte ein "Taz"-Redakteur anläßlich einer Lesung aus Was Gabriele Henkel alles mit der Hand macht den Schwerpunkt seiner Kritik auf Gremlizas "Strickjacke und häßliche rote Schuhe" gelegt. Der Mann von alternativer Welt hat es nie erfahren: Die Jacke hatte mir ein Saisonarbeiter aus dem Abruzzendorf Missoni gestrickt, die Schuhe ein Ungarn-Flüchtling namens Julius Harai zusammengeleimt. Der Zusammenhang mit meiner Kritik an einer Gesellschaft, für die Erscheinungen wie Gabriele Henkel, das schöngeistige Gesicht der chemischen Industrie, und Marion Dönhoff, die Kanone von Valmy des Leitartikels, Anregungen abgeben, besteht eben darin, daß mir die da droben zu vertraut sind, um ihnen mit Sozialneid statt mit Verachtung begegnen zu können. Der Zufall der Geburt und der Begabung ließ mich dort anfangen, wo andere erst hinwollten, und weggehen, bevor sie ankamen. Ein Preis, ein Orden oder eine Berufung zum Bundesminister für Umweltschutz hätte für diese Vita den Gau bedeutet.

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Hermann Kant schrieb schon für und diskutierte schon mit KONKRET, als er noch Präsident des DDR-Schruftstellerverbands war:

Am Grabe Melvin J. Laskys sagte Michael Naumann, der Verstorbene habe dafür gesorgt, daß die Kellnerinnen in der Hauptstadt Englisch und nicht Russisch lernen mußten. Fortan konnten die Berliner ohne Dolmetsch Hamburger ordern. - Sind Ihnen, Herr Gremliza, weitere Taten aus diesem Geiste bekannt?

Gremliza: Was die Kellnerinnen in der Hauptstadt angeht, so störte mich an ihnen keineswegs, wenn sie Englisch könnten (als meine Tochter vor der Wahl stand zwischen Griechisch und Russisch als dritter Fremdsprache - nach Lateinisch und Englisch -, habe ich ihr geraten, es mit einer toten Sprache genug sein zu lassen und Griechisch zu lernen), sondern daß die Stadt, in der sie Gottseidank mehr Hamburger servieren als Eisbein und Soljanka, leider wieder die Hauptstadt Deutschlands ist.

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Frank Schulz, Hamburger Romancier (Morbus fonticuli) und "sowieso mein Lieblingsautor" (Harry Rowohlt) berichtete in KONKRET 1984 über ein Schreibseminar bei Walter Kempowski:

Was haben Sie eigentlich mit den Unmengen Spargel gemacht, die ich Sie vor rund drei bis fünf Jahren mal bei dem hervorragenden Gemüsehändler Henry Kunstmann ("Herzlich willkommen in meinen bescheidenen Geschäftsräumen!", "Ach Henry, du alter Hirsch!", "Ein dynamisches Wochenende!" u.ä.), Methfesselstraße 49 in Hamburg-Eimsbüttel, habe kaufen sehen? Das wollte ich Sie schon immer mal fragen, d.h. seit mindestens rund drei bis fünf Jahren.

Gremliza: Um die Frage sorgfältig beantworten zu können, müßte ich wissen, welchen Spargel ich damals bei dem bedeutenden Henry Kunstmann (die zehn Autokilometer zwischen meiner Wohnung und seinem Laden werden mir nie zu weit) gekauft habe. Bei Kunstmann beginnt die Saison mit dem passablen französischen, findet ihren Höhepunkt an den paar Tagen, da es geringe Mengen badischen Spargels aus Schwetzingen oder Bruchsal überhaupt bis nach Hamburg schaffen, bevor sich die hanseatischen Sparköche erlöst in die Stangen der nur halb so teuren Ware aus der Göhrde werfen, wobei ihnen seit Jahren nicht auffällt, daß ihr von vielen Großhändlern der fast geschmacksfreie, aber noch billigere griechische Spargel untergemischt wird, Hauptsache er ist auch acht Tage nach der Ernte, weil in Milchsäure gebleicht, noch schneeweiß, aber solche Ware läßt Henry Kunstmann niemals über die Schwelle seiner bescheidenen Geschäftsräume. Die eine Hälfte der Unmenge, die ich damals erwarb, ging an einen Freund, der die Strecke von Nienstedten nach Eimsbüttel manchmal scheut, die andere wurde von mir zubereitet und, bevor sie zu beiden Seiten des Kochlöffels senkrecht abhing, von meinen Kindern, meiner Frau und mir verspeist, begleitet vielleicht, wenn es die unvergleichliche Sorte "Schwetzinger Meisterschuß" war, von einer mit ein wenig Zitrone aufgeschlagenen Sauce hollandaise. Und womit haben Sie sich damals, vor drei bis fünf Jahren, bei Henry Kunstmann ein dynamisches Wochenende verdient, Herr Schulz?

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Gerhard Henschel, Romancier ("Die Liebenden"), schreibt seit 1991 in KONKRET:

War das dritte Tor von Wembley 1966 drin oder nicht? Ersatzfrage, falls Gremliza diesen Torschuß nie gesehen hat: John, Paul, George oder Ringo - welcher war der beste Beatle?

Gremliza: Trotz allen Revisionisten und den von Sven Simon gefälschten Fotos: Das dritte Tor war das dritte Tor. Dafür gab es nur einen Beatle: John Paul George Ringo Lennon.

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Volkmar Sigusch, von 1979 bis 1986 Herausgeber des Sonderhefts "Sexualität KONKRET", das später auch in zwei Bänden bei Zweitausendeins erschien, ist Sexualforscher und Leiter des Klinikums II der Frankfurter Universität:

Was wird nach der kapitalistischen Gesellschaftsformation kommen? Zum Beispiel eine kriminogene ohne allgemeinen Fetischismus, wie sie sich bereits in diversen Ländern des so genannten Ostens und Westens abzeichnet?

Gremliza: Ich sag es ungern - aber: Ich weiß es wirklich nicht.

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Abdallah Frangi, von 1979 bis 2002 acht Mal Interviewpartner von KONKRET, ist heute Generaldelegierter Palästinas bei der Regierung der Bundesrepublik Deutschland:

Wie oft haben Sie in den vergangenen 30 Jahren über den Palästina-Israel-Konflikt berichtet, und wie sehen Sie die Lösungsmöglichkeiten des Problems "Israel-Palästina"?

Gremliza: Ad eins: 199 mal. Ad zwei: nach der Entmachtung von Hamas, Djihad, Al-Aksa-Brigaden durch die Gründung eines entmilitarisierten Palästinenserstaats an der Seite Israels. Das verletzt den Stolz und die Würde des Palästinensischen Volkes? Gerade sie sind, wie der Stolz und die Würde des deutschen Volks, die Wurzel des Übels, sie den beiden Völkern zu ziehen der Anfang einer besseren Welt.

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Dietrich Kuhlbrodt schreibt (und schrieb schon zu seiner Zeit als Staatsanwalt in Hamburg) Filmkritiken für KONKRET:

Wie geht es Ihnen?

Gremliza: Wann immer ich, Bewunderer von Louis de Funès, Ihnen, der Godard-Filme ansehen kann, in einem Intercity aus Berlin oder bei meinem Freund Franco Cuneo begegne und Ihren strahlenden Blick auf mir fühle: viel besser.

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Stefan Aust, 1968/69 zu Zeiten von Röhls KONKRET dessen geschäftsführender Redakteur ("Sex ohne Ehe - So frei sind Deutschlands Mädchen"), später Redakteur des NDR-Fernsehmagazins "Panorama" und KONKRET-Autor ("Der Fall Schmücker"), ist heute Chefredakteur beim "Spiegel":

Wo ist die Stasi-Akte KONKRET - von Anfang an bis 1990?

Auch eine Frage. Aber was, Stefan, fragst Du das mich? Ich vermute, sie harrt, geschreddert in einem Müllsack verpackt, ihrer Rekonstruktion. Oder sie steht, bereits rekonstruiert und zugetragen von der Staatssicherheit (der Euren, guten), im "Spiegel"-Archiv, und nichts kann den Ausbruch eines Zeitalters der Aufklärung mehr aufhalten.

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Inge Feltrinelli, Präsidentin des Mailänder Feltrinelli-Verlags, war im März 1976 Gesellschafterin des Neuen Konkret Verlags geworden. Zwei Jahre später verkaufte sie ihren 49-Prozent-Anteil zum Einstandspreis von 200.000 Mark plus Zinsen an Gremliza zurück:

Warum hat Greml mir nie auf meine harte Kritik zu dem Artikel über Senior Service (Buch von Carlo Feltrinelli) geantwortet?

Gremliza: Ihr Briefchen, liebe Inge, hatte ich als Ausdruck spontaner Wut auf den Autor (Peter O. Chotjewitz) und der Enttäuschung über mich gelesen, Empfindungen, denen ich mit Argumenten nicht glaubte begegnen zu können. Nun, da Sie mich zur Rede stellen, will ich es dennoch versuchen.

Redakteure und Autoren stehen immer mal wieder vor der Wahl zwischen der Loyalität zu Freunden und der Loyalität zur Sache (die mitunter auch von einem Freund vertreten wird). Ich habe mal so, mal anders entschieden - und jede Entscheidung bereut. Ich hätte bereut, Chotjewitz' intelligente Notizen zum Buch Ihres Sohnes Carlo Ihnen zu opfern, wie ich es jetzt, da ich Sie so verletzt sehe, bereue, es nicht getan zu haben, ohne doch sagen zu können, in einem ähnlichen Fall anders entscheiden zu wollen als im September 2001.

*

Peter O. Chotjewitz, Essayist und Romancier (Alles über Leonardo aus Vinci), Autor des neuen KONKRET seit der zweiten Ausgabe (mit einem Artikel über die Asterix-Reihe unter dem Titel "Die spinnen, die Comix"):

Kannst Du Dir eine Frage vorstellen, auf welche Du keine treffliche Antwort weißt, und wie lautet diese Frage? (Zum dreißigsten Jahr nur so viel: Du schicktest mich damals für ein Heft, das noch nicht geheftet wurde, nach Bonn, um ein Interview mit Sergio Segre, dem Außenminister der kommunistischen Partei Italiens zu machen. Dessen sozialdemokratisches Gerede erschütterte mich so sehr, daß ich aus dem Interview einen meiner schlechtesten Texte machte, denn ich war noch nicht reif dafür, jeden sozialdemokratischen Satz zugleich als Parodie seiner selbst zu betrachten.)

Gremliza: Nicht eine Frage, sondern zwei. Die erste: Warum bin ich 1968 in die SPD hineingetreten? Die zweite: Und warum erst am 9. November 1989 wieder hinaus?

*

Norbert Blüm, seit 1974 KONKRET-Autor, kündigte 1977 seine Mitarbeit - wegen Gremlizas Weigerung, nach dem Attentat der RAF auf den Generalbundesanwalt "Trauer um Buback" zu bekunden; Helmut Kohl hatte seine Unterstützung der Kandidatur Blüms zum Bundestag von der Kündigung abhängig gemacht:

Haben Sie sich, lieber Herr Gremliza, inzwischen im Dachstübchen der Bundesrepublik Deutschland (linker Gang, linke Tür, linkes Zimmer, Sofa links) häuslich eingerichtet?

Gremliza: Es fällt mir da, lieber Chotjewitz, eine dritte Frage ein, auf die ich keine treffliche Antwort weiß, und es ist nicht die gestellte.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36