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36 Jahre Konkret CD

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Heft 04 2007

Gunnar Schubert

Der böse Blick

Während Historiker wie Anthony Grayling um die "toten Städte" Nazideutschlands trauern, berichten Ausländer, wie sie den Bombenkrieg im Herzen der Bestie erlebten.

Es war wohl kein Zufall. Als Bertelsmann vor einigen Wochen Frederick Taylors Buch Dresden, Dienstag, 13. Februar 1945 verramschen ließ, hatte man sich aus dessen englischem Verlag Bloomsbury bereits neue Munition beschafft: Anthony C. Graylings "Among the Dead Cities" (deutscher Titel: "Die toten Städte"). Handelte es sich bei Taylors Werk um eine geschmäcklerische Zusammenstellung aus falsch Wiedergegebenem, bunten Bildchen und Versöhnungskitsch, steht der Nachfolgeautor bei Bloomsbury und Bertelsmann für eine ganz andere, aber nicht neue britische Härte.

Die Fragestellung des Moralphilosophen Grayling, die wahlweise ethisch oder moralisch, aber auch juristisch beantwortet werden soll, lautet: Waren die Bombardierungen deutscher und japanischer Orte Kriegsverbrechen? Er wolle, so verkündet Grayling im Vorwort, "diese Kontroverse heute endgültig" beilegen, indem er die zentrale Frage "in diesem Buch endgültig" beantworte.

Es ist wohl dieser entschiedene Ton, der hierzulande gut ankommt: endlich einer, der aufräumt und einen Schlußstrich zieht. Bezahlsender wie Deutschlandradio Kultur oder der MDR laden als Experten zur von Grayling neu angefachten Debatte die deutsche Entsprechung ein: Jörg Friedrich ("Der Brand") - jenen Allzweckhistoriker, dessen Sprachvermögen jedes Poesiealbum als hohe Literatur erscheinen läßt.

Grayling verspricht in seinem Buch, zur Wahrheitsfindung eine Gerichtsbarkeit à la Internationaler Militärgerichtshof einzusetzen - nur daß er selbstverständlich allein vorsitzt. Es gibt eine Anklageschrift, die der vorsitzende Richter verfaßt hat. Eine Verteidigung, die er praktischerweise selbst übernimmt. Es erfolgt eine Beweisaufnahme, die Grayling vorbestimmt hat. Die Plädoyers von Anklage und Verteidigung hält der Moralapostel ebenfalls in Personalunion, um anschließend dem Angeklagten die Gelegenheit für ein Schlußwort zu nehmen und statt dessen das von Anfang an feststehende Urteil (leider ohne Strafmaß) zu verkünden: Die alliierten Bombardements waren Verbrechen. Argumente sind nachrangig. So sieht sie aus, die Moral des heiligen Inquisitors.

Weshalb ihm auch all das unterläuft, was ihn selbst, würde es mit rechten Dingen zugehen, auf die Anklagebank eines ordentlichen Gerichts bringen müßte: uneidliche Falschaussagen, Verfahrensverschleppung, Unterschlagung von Beweismitteln, Zeugenbeeinflussung, Rechtsmißbrauch, Amtsanmaßung usf.

Grayling löst die Bombardements gegen Nazideutschland aus ihrem geschichtlichen Kontext. So ist ihm die Shoah kaum eine Andeutung wert. Er ist damit beschäftigt, seine windigen Methoden so zu verschleiern, daß ihm keiner draufkommt. Die wichtige Frage, warum das "moral bombing" nur in Deutschland nicht wirkte, streift er nur kurz. Es folgt der Einwand, die Engländer hätten aus eigener Erfahrung wissen müssen, daß solcherart Kriegsführung die Bevölkerung nur dichter zusammenrücken lasse. Damalige britische Bombenkriegsgegner mißbraucht er als Gewährsleute ("die Stimme des Gewissens"). Dabei stellte sich das Problem im letzten unbesetzten Land Europas ganz anders als im Herzen der Bestie. Erkennt Grayling die fundamentalen Unterschiede zwischen einer bürgerlichen Demokratie und Nazideutschland nicht?

Auch vermag der Autor nicht nachzuweisen, daß die Alliierten gegen Kriegsrecht verstießen, da die entsprechenden Verträge zum Verbot von Flächenbombardements erst 1949 unterzeichnet wurden. Aber genau daraus macht er einen "retrospektiven Unrechtsvorwurf gegen die Praktiken, die in diesen Dokumenten geächtet werden", da die britischen und US-amerikanischen Unterzeichner damit ihre Praxis rückwirkend als Verbrechen geächtet hätten. Die Praxis des Bomber Command, das, folgt man Grayling, wie die USAAF nur gegen die Zivilbevölkerung Krieg führte, vergleicht er mit der Innenpolitik Stalins und Pinochets.

Anthony Grayling wird hierzulande denen, von denen er sich immer wieder mit großer Geste abzuheben sucht, ein neuer David Irving sein. Denn er schreibt nichts anderes als das, was die Autoren der Negationisten, etwa Franz Kurowski oder Alexander McKee, schon seit Jahrzehnten behaupten.

Am 1. September 1939 schrieb William L. Shirer, der als Radiokorrespondent in Berlin tätig war, in sein Tagebuch: "Aber nun, da die Engländer und Franzosen in den Krieg eingetreten sind, kann die Sache morgen anders aussehen. Ich werde mich dann in dem ganz und gar nicht angenehmen Dilemma befinden zu hoffen, daß sie dieser Stadt mit Bomben richtig einheizen, ohne mich zu treffen."

Ganz anders als der böse Blick Graylings fallen die "Berichte aus der Abwurfzone" aus, die Oliver Lubrich herausgegeben hat. Die gesammelten Beobachtungen von Ausländern, die den Bombenkrieg in Deutschland erlebten, sind dabei so unterschiedlich wie die Beobachter selbst: Zu ihnen zählen neben Reportern und politischen Häftlingen auch eine russische Prinzessin, ein französischer Judenhasser und der Schwiegersohn Mussolinis. Vom "fremden Blick" ist im Vorwort die Rede, der allen Ausländern gemeinsam gewesen sei, gleichwohl sie keine homogene Gemeinschaft bildeten. Auch die mannigfaltigen Varianten in Stil und Form der Berichte verhindern, daß ihre Lektüre ermüdet. Doch selbst wenn sie die Angriffe unterschiedlich bewerten, behalten die meisten die Ursache für die Bombardierungen im Blick.

Lubrich gelingt es, den Leser durch das Buch zu begleiten, ohne aufdringlich zu wirken. Das ist schon sehr viel. Er liefert kurze Hintergrundinformationen zu den Autoren und löst auch die Aufgabe der historischen Zuordnung elegant. Statt die Berichterstatter jeweils in einem Stück zu Wort kommen zu lassen, ordnet er ihre Beiträge chronologisch nach Jahren.

Einige seiner Ansichten muß man nicht teilen - zum Beispiel, daß "William Shirer verbitterte", nur weil er nach alledem nicht germanophil wurde. Auch befremdet es ein wenig, wie unkritisch der sachkundige Herausgeber mit den Autoren umgeht. Die Rolle des Journalisten Jacob Kronika etwa als Propagandist der Goebbelschen Lügen nach den Luftangriffen auf Dresden läßt er unerwähnt und unterschlägt, daß Kurt Vonneguts Darstellung auf David Irvings Märchen beruht.

Leider kommen viel zu wenige der nach Deutschland Verschleppten zu Wort. Was dachten sie, als die Befreier nahten?

Anthony C. Grayling: "Die toten Städte. Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen?" Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt. Bertelsmann, München 2007, 416 Seiten, 22,95 Euro

Oliver Lubrich (Hg.): "Berichte aus der Abwurfzone. Ausländer erleben den Bombenkrieg in Deutschland 1939-1945". Eichborn, Frankfurt 2007, 480 Seiten, 28 Euro

Gunnar Schubert ist Autor des Buches "Die kollektive Unschuld. Wie der Dresden-Schwindel zum nationalen Opfermythos wurde" (konkret texte 42)

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Literatur Konkret Nr. 36