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36 Jahre Konkret CD

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Heft 03 2004

Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer

Den Djihad denken

In Beirut luden die Friedrich-Ebert-Stiftung und die österreichische Botschaft zum Dialog mit Islamisten

Stellte man nach dem 11. September 2001 die Frage, wie es denn möglich gewesen sei, daß sich ein radikaler und organisierter islamischer Terrorismus entwickelten konnte, ohne daß, wie es scheint, die mit dem Islam und der nahöstlichen Region befaßten Wissenschaften davon etwas mitbekamen, so lautete die gängige Antwort, daß eben dies nicht die Aufgabe von Wissenschaft sei. "Vor Terroristen zu warnen, ist nicht Sache der Gelehrten, sondern der Geheimdienste. Dafür zahlt man immerhin Steuern", nahm beispielsweise Edward Said auf dem ersten Weltkongreß der Orientalisten jene Wissenschaft in Schutz, als deren Kritiker er bekannt geworden war.

Daß es sich jedoch mit dem Verhältnis zwischen panarabischen und islamistischen Bewegungen auf der einen, den Forschern, die sich ihrer annehmen, auf der anderen Seite nicht ganz so einfach verhält, darauf wies bereits vor den Anschlägen des 11.9. eine Studie des amerikanischen Orientalisten Martin Kramer hin (Ivory Towers on Sand: The Failure of Middle Eastern Studies in America). So sehr "verliebt" seien seine Kollegen in den Gegenstand ihrer Forschung, die islamischen und arabischen Gesellschaften, daß sie jede Distanz vermissen ließen. An keinem anderen Ort außerhalb der arabischen Welt würden panarabische und -islamische Ideen derart gepflegt, wie in den islamwissenschaftlichen Instituten des Westens. Damit ist sicherlich nur ein kleiner Ausschnitt der Problematik benannt. Nicht zuletzt die Auftritte deutscher Islamwissenschaftler und Nahostexperten im Vorfeld des vergangenen Irakkriegs haben deutlich gemacht, wie eng wissenschaftliche Expertisen und politische Interessen bei der Auseinandersetzung mit dem Nahen Osten verwoben sind.

Ganz harmlos und allein der wissenschaftlichen Auseinandersetzung dienend scheint auf den ersten Blick auch eine Konferenz am Deutschen Orientinstitut in Beirut gewesen zu sein, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit dem libanesischen "Consultative Center for Studies and Documentation" (CSSD) vom 17. bis 19. Februar organisiert worden ist. Gefördert wurde die Veranstaltung unter dem Titel "The Islamic World and Europe; From Dialogue towards Understanding" unter anderem von der österreichischen Botschaft in Beirut. So harmlos aber, wie es die Begriffe Dialog und Verständigung nahelegen, war sie nicht. Denn das CSSD steht der libanesischen Hizbollah nahe, und die Liste der Referenten wies neben den deutschen Nahostexperten Michael Lüders, Volker Perthes und Helga Baumgarten namhafte Islamisten wie Tariq Ramadan, Azzam al-Tamimi, Jamal al-Banna oder Skeikh Naeem Quasim von der Hizbollah auf. Daß der akademisierte "europäische Islam", für den vor allem Tariq Ramadan aus Genf und Azzam al-Tamimi vom britischen Muslim Council werben, den direkten Anschluß an die radikalen nahöstlichen Bewegungen sucht, ist kaum verwunderlich. Die antisemitischen Äußerungen Ramadans im vergangenen Jahr und die nur scheinbar differenzierte Sichtweise von Tamimi auf den arabischen und islamischen Antisemitismus zeigen, daß ein moderner Islamismus sich durchaus mit den europäischen Gesellschaften arrangieren kann und zugleich den Haß auf Amerika und die Juden pflegt.

"Die Unbeugsamkeit des palästinensischen Volkes und die Eskalation seines Aufstandes bis zu dem Punkt, an dem Panik und Verwirrung unter den Israelis herrschen und sie ihren eigenen Staat in Frage stellen, sind klare Anzeichen dafür, daß die post-israelische Ära vor der Tür steht." Zu diesem Schluß kommt Azzam al-Tamimi, der auf der Konferenz, die erst nach Redaktionsschluß dieses Heftes begann, auf einem Podium zum Thema "Freiheit und Menschenrechte" sprechen soll. Tamimi hat eine "Kritik des islamischen Antisemitismus" verfaßt, die zu dem bekannten Ergebnis kommt, daß es einen solchen nicht geben könne, da die Araber doch selbst Semiten seien. Daß es gleichwohl einen Anti-Judaismus gebe, dafür trage "das zionistische Projekt die volle Verantwortung". "Beschimpfungen und Abstempeln von Juden als Nachfahren von Schweinen und Affen, wie es oft in der arabischen Literatur geschieht, ist rassistisch, inhuman und daher auch unislamisch", schreibt Tamimi. "Ohne die anti-jüdische Haltung vieler Muslime rechtfertigen zu wollen, verstehe ich dennoch, daß es gute Gründe für diese Haltung gibt." Richtig sei es, eine klare Trennung zwischen dem jüdischen Glauben und dem "zionistischen Projekt" zu ziehen. "Muslime müssen einen rationalen und überzeugenden Diskurs entwickeln, der zu einer klaren und stichhaltigen Auffassung darüber führt, was die Juden für uns bedeuten und welche Rolle sie in unserem Glauben und unserer Religion einnehmen. Das ist das, was die Hamas in den vergangenen zehn Jahren bereits geleistet hat." So folgt Tamimi strikt dem klassisch antisemitischen Paradigma, wonach zuerst der Verfolger entscheidet, wer Jude ist und wer nicht. Verschont bleiben sollten Juden, wie Tamimi sie definiert, nämlich solche, die dem "zionistischen Projekt" abschwören. "Muslime sollten sich effektiv daran beteiligen, eine Lösung des Palästinakonflikts herbeizuführen", erklärt er. "Ein Teil dieser Bemühungen muß sich gegen die jüdischen Gemeinden in der Diaspora wenden, damit sie ihre Unterstützung Israels beenden und sich von dem zionistischen Projekt abwenden."

Ähnlich wie bei Tariq Ramadan, der auf dem Europäischen Sozialforum in Paris eine begeisterte Zuhörerschaft fand, resultiert Tamimis Akzeptanz aus seiner Anbindung des Islamismus an antiamerikanische und globalisierungskritische Diskurse. "Im wesentlichen ist das zionistische Projekt ein westlich-kolonialistisches Unternehmen, dessen Erfolg von zwei Faktoren abhängt. Der erste Faktor ist die Wahrung eines starken und machtvollen Westens ... Der zweite Faktor ist die Schwäche der Araber und Muslime, die ihrer Möglichkeiten, sich zu verteidigen, beraubt wurden." Indem er die "muslimische Welt" als Opfer der "World Order" zeichnet, bietet er sie zugleich als neuen Hoffnungsträger einer gerechteren Welt an. "Offensichtlich aber wird die muslimische Welt gerade Zeuge eines kraftvollen Erwachens, das ihre Schwäche in Stärke verwandeln wird. Wenn Araber und Muslime wieder Stärke und Vertrauen erlangen, dann wird dies einhergehen mit einem Rückzug der World Order aufgrund der schrumpfenden materiellen und militärischen Ressourcen und infolge einer Zuspitzung des aktuellen Konflikts; dann wird auch das Ende des zionistischen Projekts gekommen sein, und der Staat Israel wird aufhören zu existieren." Verpackt in einen akademischen Diskurs formuliert Tamimi so das Programm eines weltweiten Djihad, wie es in gröberen Worten bereits von Osama Bin Laden und der Al-Qaida bekannt gemacht wurde. Der Widerstand gegen eine von Israel und den Zionisten gelenkte "World Order" werde Erfolg haben, wenn es gelinge, die militärischen Ressourcen durch eine Vermehrung der Konflikte zu minimieren und den Feind auf diese Weise zu schwächen. Nüchterner läßt sich der Aufruf zum Mord kaum formulieren.

Eine ähnliche Position vertritt Munir Shafiq. Der ehemalige Marxist, der unter dem Einfluß der iranischen Revolution und Roger Garaudys zum Islam konvertierte, avancierte in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Ideologen des palästinensischen Djihads und der Hamas. 1998 fiel Shafiq durch einige Artikel auf, in denen er forderte, den Begriff des Terrorismus neu zu definieren. Morde gegen Zivilisten seien "unrein", erklärte er damals, verteidigte aber "Terrorismus" als legitime Form des Widerstands bei "Besatzung" und als Teil einer "ideologischen und zivilisierten Mission für eine politische Alternative zur ungerechten Politik überall auf der Welt". Vergangenes Jahr hielt er die Eröffnungsansprache einer Konferenz über die palästinensische Intifada an der Universität Teheran. Im Abschlußcommuniqué der Tagung hieß es: "Die Teilnehmer dieser Konferenz halten die Vernichtung des zionistischen Regimes für die Vorbedingung der Schaffung von Demokratie im Mittleren Osten."

Der Ägypter Jamal al-Banna, Bruder des Gründers der Muslimbruderschaft, soll in Beirut über "Demokratie - ein flexibles Konzept" sprechen. Al-Banna gilt als führender Kopf der islamistischen Bewegung in Ägypten. Er setzte sich beispielsweise für den bekennenden Antisemiten Roger Garaudy ein und verteidigt das Konzept des Djihad in Palästina. Gleichzeitig wird auch er nicht müde, den friedlichen Charakter der Muslimbrüderschaft zu betonen; der Fanatismus einiger islamistischer Gruppen liege nicht in ihrer Ideologie begründet, sondern sei einzig das Ergebnis von Unterdrückung und Ausgrenzung.

Allen Genannten gemeinsam ist der Versuch, das Konzept des islamischen Djihad in eine zivilere Sprache zu übersetzen und so für soziale und antikapitalistische Bewegungen zu öffnen. Islamistischer Terror wird durchweg als legitime Reaktion des Schwächeren auf Unterdrückung betrachtet, während eine "gerechte Welt" nur durch eine Niederlage der "World Order" und die Vernichtung Israels erzielt werden könne. Anschläge gegen Zivilisten werden abgelehnt, der Terror gegen Israelis, denen als Teil des "zionistischen Projekts" der Zivilistenstatus aberkannt wird, unterstützt. Damit wird die Schnittmenge deutlich zwischen den arabisch-nationalistischen und den islamistischen Bewegungen, die im Nahen Osten in den vergangenen Jahren bis zur Ununterscheidbarkeit zusammengewachsen sind. In den palästinensischen Intifada-Komitees, wo Hamas und PFLP eng zusammenarbeiten, wie auch bei Saddam Hussein, der einen angeblich säkularen Panarabismus mit religiösen Heilsversprechen und der Finanzierung von Selbstmordattentätern zur "Befreiung der Heiligen Städten von Al Quds" verband, hat diese Verschmelzung in jüngster Zeit ihren Ausdruck gefunden.

Auf der Konferenz im Deutschen Orientinstitut in Beirut soll auch ein Vertreter der "irakischen Opposition" auftreten. Oppositionell ist Abd al-Amir al-Rikabi freilich nur gegen das amerikanische Besatzungsregime, während er zu Saddam Husseins Zeiten zu jenen Exilanten gehörte, die von der irakischen Staatsführung als genehme Opposition hofiert wurden. Nach einem Besuch in Bagdad 1992 lobte der damalige irakische Außenminister und spätere Vizepräsident Tarik Aziz den "Oppositionellen", der eine "echte nationale Opposition" repräsentiere und nicht mit ausländischen Mächten zusammenarbeite. Im Oktober 2002 wurde Rikabi mit anderen Exil-Irakis von Saddam Hussein persönlich nach Bagdad geladen, um dort an einer Regierung der "nationalen Einheit" zu partizipieren. Mit einer milieutypischen Hypokrisie erklärte Rikabi seinerzeit: "Unglücklicherweise habe ich alles, was es braucht, um einer nationalen Einheitsregierung vorzusitzen. Ich bin ein schiitischer Linker, akzeptiert von der Linken, ich bin Araber, bin aktiver Schriftsteller und habe arabische Beziehungen. Ich sage ›unglücklicherweise‹, weil ich Journalist bin und kein Staatsmann. Wenn man mich aber fragt, ob ich die Aufgabe übernehmen wolle, einer Regierung der nationalen Einheit vorzusitzen, dann werde ich diese Mission erfüllen." Selbst wenn man die amerikanische Intervention im Irak unter allen anderen Aspekten ablehnte, müßte man doch als Segen bezeichnen, daß eine derartige Regierung unter Rikabi niemals zustande kam.

So versammelten sich unter der Schirmherrschaft der Friedrich-Ebert-Stiftung im Deutschen Orientinstitut von Beirut panarabische und islamistische Ideologen zu "Dialog" und "Annäherung". Mit Ausnahme des syrischen Philosophieprofessors Tayyib Tizini, der letztes Jahr demokratische Reformen und eine Liberalisierung in Syrien forderte, nahm nicht ein einziger der liberalen arabischen Intellektuellen, die im vergangenen Jahrzehnt eine grundlegende Kritik an den ideologischen Prämissen nahöstlicher Herrschaft formuliert haben, an dieser Veranstaltung teil. Auch eine Frau wird man, mit Ausnahme deutscher Orientalistinnen, so vergeblich suchen wie die Thematisierung von Frauenrechten in islamischen Gesellschaften. Zwar taucht "Europa" als Dialogpartner des Islam in der Ankündigung auf, andere als deutsche, österreichische und französische Wissenschaftler waren jedoch nicht vertreten - wie in den Reden Schröders bestand "Europa" auch in Beirut aus jenen Ländern, die sich gegen den militärischen Sturz Saddam Husseins gewehrt haben.

Auf diese Weise ist die im Veranstaltungstitel angekündigte "Annäherung" längst vollzogen worden. Angesichts einer derartigen Tagung macht es also durchaus Sinn, sich erneut Edward Saids Verteidigung ins Gedächtnis zu rufen. Steuern zahlt man nämlich nicht nur für Geheimdienste, sondern auch für die aus Bundesmitteln mitfinanzierten Institutionen, die den Islamisten in Beirut Unterkunft boten. Die Offenheit, in der dies geschah, macht jede geheimdienstliche Arbeit überflüssig.

Uwer/Osten-Sacken sind Mitherausgeber des Buches "Amerika, der ›War on Terror‹ und der Aufstand der Alten Welt" (Ça ira)

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Literatur Konkret Nr. 36