Samstag, 27. April 2024
   
Startseite Konkret Hefte Konkret Texte Sonderhefte Konsum Online Konkret Verlag

Das aktuelle Heft



Aboprämie



Studenten-Abo



Streetwear



36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 12 2008

Clemens Peck und Stephan Kurz

Dawn of the Dead

Jörg Haider lebt - im Führerstand einer Wiener Straßenbahn.

Am 26. Oktober 2008 stellten die Wiener die Streckenführung der Straßenbahnlinien 1 und 2 um. Das Besondere an diesen beiden Linien: Sie wurden Jahr für Jahr von Tausenden Touristen genutzt, da sie seit dem auch sonst zeitgeschichtlich interessanten Jahr 1986 (Jörg Haider wird zum Parteivorsitzenden der FPÖ und Kurt Waldheim trotz (oder wegen) seiner nationalsozialistischen Vergangenheit zum Bundespräsidenten gewählt) der Ringstraße folgend die Altstadt umrundeten. Dies ist nun Geschichte. Statt der früheren Kreisbewegung der Straßenbahnen (wienerisch: "Bim") um die historischen Sehenswürdigkeiten der Innenstadt tauchen die Linien 1 und 2 nunmehr als Tangenten im Streckenplan auf.

Am Vorabend des österreichischen Nationalfeiertags, eben jenem 26. Oktober, drehte die Linie 1 noch eine Abschlußrunde, bei der sich folgende Szenen abspielten: Der Straßenbahnfahrer wendet sich vor Fahrtantritt an seine Fahrgäste und bittet um Ruhe für eine Durchsage anläßlich der denkwürdigen Gelegenheit. Kurz nachdem er sich in den "Führerstand" (O-Ton) begeben und die Tram in Bewegung gesetzt hat, läßt er sich wie folgt vernehmen: "Sehr geehrte Fahrgäste und Freunde der Straßenbahn, wir sind hier auf dem Zug der Type ULF B mit der Zugnummer 686 der Linie 1. Wir werden jetzt zum letzten Mal den Orbit um den Stephansdom in Angriff nehmen, ein letztes Mal wird die Linie 1 den Kreis beschreiben um den Steffl, das ist ein historischer Augenblick und ein Gedank-, Gedenktag auch in Erinnerung an die historische Tradition der Wiener Linien. Sieg Heil!"

Gejohle, ein einzelner Buh-Ruf. Der Straßenbahnführer wird von einem aufgebrachten Fahrgast zur Rede gestellt. Der ältere Herr fordert ihn auf, seine Dienstnummer zu nennen, es folgt ein längerer Disput, der Straßenbahner rechtfertigt sich mit den Worten "Versteht's ihr keinen Spaß?" Die vorwiegend jüngeren Fahrgäste haben im Gegensatz zum "Spielverderber" offenbar Sinn für Humor, eine Dame unterbricht die Intervention mit einem "Haben Sie doch einfach Freude am Leben!" Eine andere Stimme: "Lassen wir's doch einfach sein, o.k.?" Der ältere Herr repliziert: "Wir sind im Jahr 2008, wenn da einer, ein Straßenbahnführer, mit Sieg Heil grüßt, dann lassen wir das nicht sein!" Nach einigen Minuten entschuldigt sich der Straßenbahnführer per Lautsprecherdurchsage für seine "Entgleisung".

Zwei Tage später ist der Fahrer entlassen, und die Meldungen darüber sind aus den Tageszeitungen wieder verschwunden. Doch diese Entgleisung bezeichnet mehr als die 15minütige Berühmtheit eines österreichischen Straßenbahnfahrers (ein Video war nach wenigen Stunden auf Youtube zu finden), sie ist mehr als ein Nachsatz zum letzten Wahlergebnis in Österreich (zur Erinnerung: Jörg Haiders BZÖ und H.-C. Straches FPÖ erhielten gemeinsam fast ein Drittel der Stimmen). In ihr steckt ein Modell für das Funktionieren der österreichischen Öffentlichkeit - eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.

Die Bedeutung der Straßenbahnszene erschließt sich vor allem im Kontext zweier jüngerer Ereignisse: das Begräbnis Jörg Haiders und die Wahl des rechtsextremen Burschenschafters Martin Graf zum dritten Präsidenten des österreichischen Nationalrats. Die Österreicher haben ihrem betrunken verunfallten Kärntner Landeshauptmann Haider eine offizielle Trauerfeier mit über 50.000 Gästen ausgerichtet; er erhielt sie von jener Republik, die er selbst als "ideologische Mißgeburt" bezeichnet hatte. Als pietätvoll galt in den Trauerreden quer durch die Parteien, Haider ausschließlich als staatstragenden Politiker (bestenfalls: "mit Hang zum Kontroversiellen") zu würdigen. Seine rechtsradikalen Statements - wie jenes von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik" des "Dritten Reiches" - zu thematisieren war vor dem über Nacht schaffnerlos gewordenen Kärntner Volk fehl am Platz. Immerhin hatte man es ja mit "unserer Lady Di" zu tun: Der carinthische "König der Herzen" und aus dem Trachtenjanker geschlüpfte "Feschist" (Armin Thurnher) hat wie kein anderer die politische Entgleisung und den Modus des "Dann entschuldige ich mich eben" zusammengeführt: "Versteht's ihr keinen Spaß?" Sprichwörtlich geworden sind Haiders vorgebliche Rückzüge nach Kärnten und die bald folgenden Comebacks auf bundespolitischer Ebene: "Bin schon weg" - "Bin wieder da". Damit waren zuletzt (wie in der Straßenbahn) die Jungwähler/innen zu gewinnen.

Haiders Gesinnungsfreund Martin Graf - auch er ein "einfaches Parteimitglied" - wurde am 30. September 2008 von der FPÖ, der als drittstärkster Fraktion im Parlament diese Funktion zusteht, als Kandidat für das Amt des Dritten Nationalratspräsidenten nominiert. Graf ist Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Olympia, die unter anderen einmal den Holocaustleugner David Irving zum Festvortrag geladen hatte, der am 11. November 2005 auf dem Weg zu diesem Vortrag verhaftet und im Februar 2006 rechtskräftig verurteilt wurde. Graf wurde - nach vereinzelt laut gewordenen Buh-Rufen und kurzer Diskussion - ganz gemäß dem demokratischen Fahrplan mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, FPÖ und BZÖ in dieses Amt gewählt, in ein Staatsamt, das seinen "Gesinnungsfreunden" wenig gelten möchte. Der österreichische Nationalrat gehorcht anderen Regeln als die Wiener Linien, die den Straßenbahnführer am selben Tag feuerten, an dem Graf in sein Amt gewählt wurde: Vom Festkommers der Olympia existiert eben kein Youtube-Video.

Zurück zur Linie 1. Touristischer Höhepunkt der Ring-Umrundung war zweifellos die Haltestelle Rathausplatz, bei der sich dem Blick der Besucher linker Hand das Rathaus und rechter Hand das Burgtheater darbot. Kurz davor, ebenfalls rechts: der Heldenplatz. Der österreichischen Seele ist das Ereignis rund um Hitlers Rede ebendort - drei Tage nach dem Einmarsch am 12. März 1938 - dank Helmut Qualtinger als ein "großer Heuriger" (österreichisch für weinselige Zusammenkunft) - in Erinnerung geblieben. Nach der Station Rathausplatz erreicht die Linie 1 das Schottentor: Von dort fährt nach wie vor die "Bim" der Linie 38 zu den (auch touristisch) beliebten Weinschenken, die ebenfalls als "Heurige" bezeichnet werden.

Die österreichische Literatur hat seit den sechziger Jahren zu thematisieren vermocht, was Zeitgeschichte und politischer Diskurs damals noch längst nicht wagten: eine radikale Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, ein Lüften der "Tuchent" (Daunendecke), die die Moskauer Deklaration 1943 (Österreich als erstes Opfer Hitler-Deutschlands) schützend über die Alpenrepublik gebreitet hatte. Thomas Bernhards Theaterstück Heldenplatz, im Burgtheater Ende der achtziger Jahre uraufgeführt, hat die "Sieg-Heil"-Rufe vom Heldenplatz des Jahres 1938 wieder hörbar gemacht. Daß da etwas hervorbrach, scheint symptomatisch: Am Ende von Elfriede Jelineks 666 Seiten starkem Roman Die Kinder der Toten brechen sich Lawinen von Blut und Haaren aus dem Alpenvorland Bahn. Es ist das Horrorgenre, das der Psychodynamik der österreichischen Seele inhaltlich wie formal am ehesten entspricht. Die Untoten sind eben nicht tot, sie kommen wieder, vor allem nachdem sie ihren Pkw gegen die Wand gefahren haben.

Literarische Szenarien von Wiedergängern und Zombies eignen sich deshalb in besonderer Weise als Kontrastmittel zur Kennzeichnung von Koketterie und Selbstmitleid der österreichischen Selbstdarstellung, weil sie die politische Topographie mit der des Seelenlebens zu verschränken wissen. Sie lenken den Blick auf etwas, das man mit gebotener Vorsicht Wiederholungszwang nennen könnte: Auf das "Sieg Heil!" folgt ein "Lassen wir's halt bleiben", auf das wiederum ein "Sieg Heil!" folgen darf. Komplettiert wird das Wiedergänger

szenario durch das Interesse der internationalen Presse, die zuletzt den österreichischen Kellern erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt hat: Daß Herr Fritzl, wie britische und deutsche Boulevardzeitungen mutmaßten, bei Adolf Hitler gelernt habe, ergänzt die Berichterstattung der "FAZ" über die mittlerweile dreißigjährige Suche nach einem jüdischen Massengrab in der ostösterreichischen Gemeinde Rechnitz. Daß sich dieses Massengrab unter einem der nach 1945 errichteten Häuser am Ortsrand befinden könnte, weist zurück und voraus auf Bilder, die Jelineks Texten sowie der Ästhetik des Horrorgenres eine ganz unerhörte Präsenz verleihen. Diese ist immer dort zu finden, wo der Film beginnt: in der Idylle.

Man hat sich im "spezifisch Österreichischen" gut eingerichtet. Alles spricht dagegen, das Ergebnis der österreichischen Nationalratswahlen vom September als Effekt eines gesellschaftlichen Rechtsrucks zu interpretieren: Es gibt nichts mehr zu rücken. Die Endlosschleife im braunen Orbit wird nicht zufällig zu einem Zeitpunkt sichtbar, zu dem die Generation der NS-Täter/innen im Verschwinden begriffen ist. Der Vorfall im Führerstand am Vorabend des österreichischen Nationalfeiertags ist also alles andere als bloß symptomatisch: Er ist die Essenz. In Abwandlung eines Werbespruchs der Wiener Trambahnlinien ("Bim gleich da") hören wir mit höchstem Unbehagen und Thrill die Worte: Ich bim wieder da.

Stephan Kurz ist Assistent am Germanistischen Seminar der Uni Wien; Clemens Peck ist Research Fellow am Wellcome Trust Centre für Medizingeschichte in London

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36