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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 02 2011

Michael Sailer

Das Universum ist eine Stubenfliege

Wie man sich auch heute noch mit Aleister Crowley, dem Meister des Esoterikgeschwurbels, interessant macht.

"Picasso des Okkulten", "verruchtester Mann des Jahrhunderts", "verderbtester Mann der Welt" - die Liste der Werbesprüche, mit denen auf Aleister Crowley aufmerksam, Produkte mit seiner auratischen Wirkung verkäuflich gemacht werden sollen, ist lang und absurd. Denn ein "Ruch" ("umlaufendes Gerede") besteht ja meist darin, daß jemand jemanden als verrucht bezeichnet, wodurch er noch verruchter wird usw. - ein kulturbetriebliches Perpetuum mobile, das seit dem Esoterikwahn der Achtziger regelrecht ins Rasen geraten ist, sich aber halt leider immer nur im Kreis dreht um ein Zentrum, das niemand genau erkennt und das vielleicht leer ist.

Wer Aleister Crowley wirklich war, weiß und fragt niemand von den vielen, die uns drohgrummelnd mit Geschichten von seiner magischen Verruchtheit beeindrucken wollen, die als Zeugen ihres Sehnens nach "Freiheit" auch gerne mal den Marquis de Sade herbeizerren und nicht einsehen wollen, daß durch die Hintertür von Esoterik und Libertinage die düsteren Monster Faschismus und Neoliberalismus hereinkriechen. Also: Wer und was war er, der Herr Crowley?

Der Enkel eines der ersten Fastfood-Millionäre und Sohn christlicher Sektierer war durch den frühen Tod des Vaters schon als Kind so reich, daß er sich an den missionarischen Eltern "rächen" konnte, indem er sie gespiegelt imitierte, sich mit pornographischem Verseschmieden und Bergsteigerei verlustierte, ein Studium der Geisteswissenschaften hinschmiß, um mit Drogen und "schwarzer Magie" ein wahres Leben hinter dem wahren Leben anzustreben, das sich wie so oft als reales Abbild zunehmender Gehirnzersetzung erwies. Er stritt sich mit allen möglichen Ordens- und Logengesellen herum, wie man das so ähnlich aus "Buffy, the Vampire Slayer" kennt, befehdete jeden, der ihn nicht als größtes Genie seit Shakespeare feiern wollte, hatte in Ägypten ein Erweckungserlebnis, das ihn zu seinem Buch des Gesetzes inspirierte, gründete auf Sizilien eine "magische" Kommune, deren Magie hauptsächlich in exzessivem Heroinkonsum bestand, ließ sich zum "Weltheiland" ausrufen und starb 1947 72jährig an Herzversagen.

Hinterlassen hat er eine Halde von Gedichten und pseudoreligiösem Schwurbel, über dessen Deutung sich heute noch Menschen, die nichts Besseres zu tun haben, in den Haaren liegen, was den Ruch am Leben erhält und jedem Popmusiker oder sonstwie Aufmerksamkeitsbedürftigen das ersehnte Kapital garantiert, wenn er in Interviews den Namen Aleister Crowley raunt.

Was die von Studenten betriebene Poetry Society der Universität Oxford bewog, ausgerechnet Crowley, dem keinerlei wissenschaftlicher Ruf vorauseilte (abgesehen von allen möglichen Angebereien), 1930 zu einem Vortrag über Jeanne d'Arcs Zeit- und wohl auch Gesinnungsgenossen Gilles de Rais zu laden, deutet Hans Schmid in seinem Nachwort an: Es war neben vergeblichen Bemühungen, irgendeinen anderen bekannten Autor zu engagieren, Crowleys zwielichtige Prominenz, die den Hörsaal füllen sollte - aber nicht durfte, weil der Unikaplan mit disziplinarischen Maßnahmen drohte und die Gastvorlesung öffentlichkeitswirksam abgesagt wurde (aber keineswegs "gebannt": Den Kaplan ging die Sache im Grunde nichts an, und sonst hatte niemand Einwände). Dies wiederum schlachtete Crowley - damals weitgehend verarmt - medial aus, indem er den Vortrag als Broschüre verkaufen und sich von der "Oxford Mail" zu der "sensationellen" Absage interviewen ließ, wobei er sich mit der Mischung aus rückhaltloser Angeberei und der Demut des Verfolgten inszenieren durfte, die er so gut beherrschte und zu der auch der Trick gehört, die absurden Vorwürfe, die man abstreitet, zugleich zu übertreiben.

In seinem Vortrag ergeht sich Crowley zunächst aufgesetzt witzig, aber kreuzbanal über das Problem des historischen Wissens, wohl auch als Rechtfertigung dafür, daß er auf jegliche Art von Nachweis, Beleg und Quelle verzichtet, sein eigentliches Thema in ein paar Nebensätzen abhandelt (in denen fast jede Behauptung falsch ist) und derart haarsträubend verallgemeinert und verflacht, daß sich solcherart auch beweisen ließe, das Universum sei eine Stubenfliege. Seine These lautet: Es sei ziemlich unwahrscheinlich, daß der berüchtigte Serienmörder Gilles de Rais zu magischen Zwecken 800 Kinder geopfert habe, weil sich selbst bei grober elterlicher Unachtsamkeit in einer dünn besiedelten Gegend kaum so viele Opfer finden ließen - daß in den Untersuchungsprotokollen nur von 140 Opfern die Rede war, stört ihn ebensowenig wie daß Gilles keineswegs von der kirchlichen Justiz (die dafür gar nicht zuständig war) zum Tode verurteilt wurde und auch nicht wie Jeanne d'Arc auf dem Scheiterhaufen endete, sondern am Galgen. Man setzt Unglaubliches in die Welt, bezeichnet es als unglaublich - quod erat demonstrandum, und die Folgerung gilt, na klar, für jeden, der sich je weitläufig ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt sah, also auch Crowley. Das ist weder Historiographie noch Religionskritik, sondern plumpe Selbsthistorisierung, aber wirksam. So funktioniert sie, die Mystifiziererei.

Einer der wenigen originellen (wenn auch nicht neuen) Gedanken ist, der Ursprung der Ketzerverfolgung durch die christliche Kirche und ihrer Angst vor dem "jüdischen" Bolschewismus liege darin, daß die Urchristen selbst Ketzer, Kommunisten (und sowieso Juden) waren, weshalb ihre staatsherrlichen Nachfolger fürchteten, dasselbe Schicksal zu erleiden wie einst das Römische Reich. Crowley verfolgt auch diesen Gedanken nicht weiter, sondern nutzt ihn nur als Rechtfertigung gegen einen Gegner, den er braucht, um weiterhin skandalisieren und wichtigtun zu können.

Derart knappe Texte als Buch zu veröffentlichen, heißt behaupten, es liege in jedem Wort eine Sprengkraft wie anderswo in ganzen Bänden. In diesem Buch aber sprengt nichts, da pufft es nur so vor Banalität, und der Mythos Crowley wird vor den Augen des Lesers zum zerplatzten Bovist. Immerhin: eine Erkenntnis, aber auch die ist trivial. Gleiches gilt für die musikalische "Umsetzung" in den "17 Songs für Aleister Crowley", die als CD beigelegt sind und aus kontur- und kompositionsfreiem, uninspiriertem Gelärme zu assoziativem Geraune bestehen. Man könnte eine ironische Absicht hinter dem "mystisch inszenierten" Schwulst vermuten, aber der Eindruck, daß hier jemand sich selbst viel zu wichtig nimmt, um irgendeine Form von Witz zu entwickeln, liegt näher.

Aleister Crowley:Gilles de Rais. The banned lecture. Aus dem Englischen von Michael Farin. Belleville, München 2011, 78 Seiten + Hörspiel-CD "Do what you like" von Michael Farin und Zeitblom, 29,80 Euro

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36