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36 Jahre Konkret CD

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Heft 11 2009

Rosa Perutz

Das kollektive Unbewusste

Die Ausstellung "Kunst und Kalter Krieg" eröffnet ein malerisches Heimatmuseum, in der eine antiinternationalistische Idee der Abstraktion und ein national verstandener Realismus gemeinsam für den Seelenfrieden einer wiedervereinigten Staatskunst sorgen. Im Rahmen des Workshop-Tags "Zu Scheitern und Zukunft des Kommunismus" der Gruppe TOP Berlin am 31. Oktober wird es zu der Ausstellung einen Workshop mit Rosa Perutz geben; Infos dazu unter http://top-berlin.net/?page_id=150 .

Es kam, wie es kommen mußte. "Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945-89" (KuKK) gibt den von der vorangegangenen Schau "60 Jahre - 60 Werke" bitter enttäuschten bildungsbürgerlichen Kritizisten, Kunsthistorikern und Schöngeistern das zurück, was die "Bildzeitung" ihnen genommen hatte, indem sie den Warencharakter der bundesrepublikanischen Kunstproduktion im Martin-Gropius-Bau so infam bloßstellte: den wohligen Schauer expressiver Geistestiefe in Öl. Auch in der von "Bild" mitinitiierten Ausstellung "60 Jahre - 60 Werke" (siehe KONKRET 6/09) war der zwar präsent gewesen, aber die eindeutige Bestimmung der Kunst als Exportschlager beschmutzte ihn mit dem Hautgout des Materiellen, das der Bildungsbürger verabscheut.

"KuKK" kehrt im deutschen Gedenkjahr 2009 dagegen zurück zur klassischen Ideologie von der Autonomie der Kunst. In ihr entdecken die Chefkuratoren Eckhart Gillen und Stephanie Barron das Herz des nationalen Sentiments wieder, weil sie den Markt, staatliche Politik und soziale Gegenbewegungen ausklammern. Entsprechend berührt feiert die bürgerliche Presse (bis hin zu den sonst ein wenig poststrukturalistisch ausscherenden "Texten zur Kunst") diese nationale Wesensschau als epochemachendes Signal: "Eine bahnbrechende Ausstellung ... lehrt uns, die deutsche Kunst der Nachkriegszeit neu zu sehen und zu bewerten. Sie begräbt die alten Ost-West-Feindbilder", jubelt Hanno Rautenberg in der "Zeit". "Selbst 20 Jahre nach dem Mauerfall ist der Kalte Krieg nicht zu Ende, nicht in den Köpfen vieler Museumsdirektoren." Ulf Poschardt ("Welt") meint gar: "Die Ausstellung blickt von links auf die Kunstgeschichte." Poschardts Links-Rechts-Schwäche ist allerdings schon aus der deutschen "Vanity Fair" hinlänglich bekannt. Schließlich handelt es sich hier, mit Rautenberg, um eine "Vereinigungsausstellung", die sich allerdings - was ihn weniger interessiert - betont kritisch gibt. Jedoch nicht, wie von Poschardt deliriert, von links (also als Kritik der gesellschaftlichen Gesamtsituation), sondern als Pseudokritik von rechts: "KuKK" propagiert eine Geschichte, in der die Kunst als prophetischer Ausdruck deutscher Identität gilt, als Emanation eines nationalen Unbewußten, das erst in der Gegenwart ins nichtkünstlerische Bewußtsein vordringt. Die Existenz zweier souveräner deutscher Staaten wird sozusagen kunstgeschichtlich annulliert, indem man die gezeigten Künstler als Gralshüter der deutschen Einheit vorführt. Bis 1989 bleiben sie gleichsam Staatenlose, deren ästhetische Mission sich erst mit der sogenannten Wiedervereinigung erfüllt.

"KuKK" eröffnete zunächst im Lacma in Los Angeles, dann im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und landete am 3. Oktober nun im Deutschen Historischen Museum (DHM) zu Berlin. Auf die Suche nach einem vereinenden deutschen Geist in den Kunstproduktionen des 20. Jahrhunderts gehen Gillen und Barron bei Künstlern, die in Deutschland lebten, aus Deutschland flohen oder mal auf der Durchreise dort haltgemacht hatten. So sind nun in fünf chronologischen Themenräumen zwischen "Kontinuität oder Neubeginn" und "Wahnzimmer Deutschland" versammelt: der nachkriegsesoterische Willi Baumeister, der belanglose Ernst Wilhelm Nay, der genußfreie Pop-Artler Konrad Klapheck, der Angestellte der seriösen Staatskunst Gerhard Richter, der heidnische Nationalprediger Joseph Beuys, der nur unter Schmerzen erwähnenswerte A. R. Penck, sein dumm-maostischer "Bruder" Jörg Immendorff, der Erinnerungspolitiker Anselm Kiefer, der Meister der Nationalpittoreske Werner Tübke, der Totalitarismusinquisitor Lutz Dammbeck und viele andere (denen das teilweise weniger recht geschieht).

Die Stoßrichtung ist schnell klar. Der um ein Vielfaches deutlichere, weil umfangreichere Katalog gibt eine Linie vor, nach der sich der Expressionismus - von den Nazis verschmäht (dabei wäre er, hätte sich Goebbels durchgesetzt, Staatskunst geworden) - nach 1945, durch die Trauer über die Teilung, als "kritischer Realismus" neu belebte. Deutsche Kunst zeichne sich durch den Hang aus, sich von der Realität in eine gedankliche Freiheit abzusetzen, die stets fast ontologisch zur Nation strebe. Doch während sich gleich drei Katalogbeiträge an Umdeutungen des Realismusbegriffs versuchen, tauchen in Ausstellung und Katalog kaum Malereien des sozialistischen Realismus auf, obwohl der in der DDR (die in der Schau meist Ostdeutschland heißt) immerhin staatstragend war. Und wenn doch, werden sie dekontextualisiert. Statt dessen werden Maler wie Tübke, Wolfgang Mattheuer und der 1980 in den Westen übersiedelte Penck in den Vordergrund gestellt, bei denen man ein theatralisches Performen, ein Ringen um den eigenen (nationalen) Geist ausmacht. Umrandet wird das Ganze von meist kleinformatiger Schwarzweißfotografie, denn der Osten war ja grau. Die mitunter ganz großartigen Arbeiten der Fotografinnen Gundula Schulze Eldowy, Maria Sewcz, Barbara Metselaar-Berthold und Sibylle Bergemann dienen hier wiederum nur als Beweis für den inneren Widerstand der Kunst gegen die Teilung, da sie anscheinend nicht aus formalen Erwägungen, sondern thematisch nach ihren Bildinhalten angeordnet wurden.

Auch die beiden Realismusvarianten der BRD, der "kapitalistische Realismus" von Gerhard Richter, Konrad Lueg und Manfred Kuttner seit den frühen Sechzigern und derjenige der achtziger Jahre um Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Georg Büttner werden nicht erkennbar. Richters Arbeit "Volker Bradke", in der er den gleichnamigen, auf Düsseldorfer Vernissagen stets präsenten Studenten auf einer von Lueg fabrizierten biedermeierlichen Tapete porträtierte, ist nicht mehr Kommentar zum aufkommenden Galeriewesen und zur Populärrezeption der Gegenwartskunst, sondern ein künstlerischer Schritt hin zum Volk, für das Volk, mit dem Volk. Richters "Onkel Rudi" in Wehrmachtsuniform, die gemalte Reproduktion eines Familienfotos, steht hier nicht etwa für eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, sondern für Mitgefühl mit den armen deutschen Soldaten und Offizieren, die damals von den bösen Machthabern mißbraucht wurden. Ob SA, SS oder NVA ist hier egal. Was "KuKK" als kritischen Realismus propagiert, ist der Versuch, ein deutsch-deutsches Bewußtsein zu konstruieren, das sich in der Zeit des Kalten Kriegs (der Katalog geht zurück bis zu Holbeins Kirchenkritik) immer schon von der Politik in Ost und West (vor allem Ost, weil "Unrechtsregime"!) distanzierte, da es erst nach 1989, vereinigt, auch politisch real werden konnte. Kunst als prophetischer Träger einer unaufhaltbaren Naturgewalt, Kritik als sekundärer Ausdruck eines primären Gefühls. Die Kunst erweist sich dabei nicht mehr nur als unabhängig vom Markt, sondern ebenso von politischen Prozessen, verpflichtet ist sie einzig der historischen Projektion einer zu lange unverstandenen Gemeinschaft.

Die hohe Ansteckungsgefahr dessen, was "KuKK" als vorpolitischen Gemeinschaftsausdruck präsentiert, basiert im Kern auf einem einfachen, aber grundlegenden kunsthistorischen Trick: Sie überspitzt das allgemeine Prinzip kuratierter Themenausstellungen, also das Subsumieren beliebiger Kunstwerke unter ein ebenso beliebiges Thema - und zwar so weit, daß die nun im DHM dicht an dicht gehängten Arbeiten kaum mehr als spezifische Positionen, Äußerungen oder gar Verweigerungen zu erkennen sind, sondern nur noch als Dokumentation und Bebilderung des vorausgesetzten Prinzips. Nur daß in diesem Fall das Thema noch nicht einmal beliebig ist. Gillen hatte bereits in den Ausstellungen "Deutschlandbilder - Kunst aus einem geteilten Land" (1997/98) und "Wahnzimmer Deutschland" (2002) nach dem deutschen Wesen in der Kunst gesucht, das er vor seinen Verirrungen (Nationalsozialismus) und seinen Niederungen (Populärkultur) zurück zu seinen expressionistisch beseelten Weihen führen wollte. In der von der Bundeskulturstiftung maßgeblich geförderten "KuKK" wird dieses nationalistische Begehren in eine Neuerzählung der Nachkriegsgeschichte gewendet, in der der im Titel betonte Kalte Krieg nur mehr als störender, aber letztlich willkürlicher äußerer Umstand eines deutschen Kunstwollens gilt. Dies geschieht zum einen dadurch, daß man die politische Historie kurzerhand durch die künstlerische ersetzt. Das bedeutet nicht nur, daß die Restwelt vollständig ausgespart bleibt und Deutschland als Insel erscheint, sondern auch, daß Positionen wie die der situationistischen Münchner Künstlergruppe Spur, bei der eine solche Trennung nicht denkbar wäre, wegfallen müssen. Ferner, daß Joseph Beuys nicht mehr als den Vertriebenenverbänden naher, rechter Grüner oder als esoterischer Materialästhet auftaucht, sondern als Inkarnation des Politischen als Kunst. In diesem Reigen hat Pop-art nur in ihrer sinnlichkeitsfeindlichsten Variante bei Konrad Klapheck einen Platz, da sie sonst zu alltagsnah ist. Selbst die vom Begehren der Kultur als Massenphänomen geleiteten Fluxus-Arbeiten wie Wolf Vostells betonierter Fernseher werden nicht mehr als politisches Handeln in der Kunst sichtbar, sondern nur als Ersetzung der Politik durch die Kunst. Die Kuratoren wollen also Kunst als bloße Repräsentation einer historisch immer schon vorgängigen Idee darstellen und sie zum einzig wahren politischen Ausdruck erheben.

Zum Wesenskern dieser ästhetisch gemodelten ewigen deutschen Einheit wird schließlich Immendorffs "Café Deutschland I". Bei so viel künstlerisch verewigter Vaterlandsliebe verzeihen Gillen und Barron stellvertretend für "uns Deutsche" Immendorff sogar seine Sympathien für den "totalitären Massenmörder" Mao Tse-tung. Das Bild zeigt eine Kneipenszene, die man damals, Ende der Siebziger, wohl für deutschen Punk gehalten hat und deren romantische Wiedervereinigungssehnsucht damals als Provokation galt. Doch deutlich zu machen, daß der damals im Bild vermißte Nationalstolz rückwirkend immer schon in Immendorffs öliger Kneipenvergemeinschaftung lag, ist Gillens und Barrons Verdienst: Denn gerade das, was in der deutsch-deutschen Kunst nach '45 hier als "Kritik" auftritt, existiert im historisierenden Blick zurück nur noch als Teleologie der Gegenwart. Deutschland, auferstanden aus Kritik. Tragisch ist, daß Lüppertz, Beuys und all den anderen Meistermalern und Propheten damit nicht einmal Unrecht getan wird. Andere, weniger malerische Positionen wie die von Carlfriedrich Claus, Eva Hesse oder der oben genannten Fotografinnen erscheinen im Kontext der Ausstellung nur noch als Innerlichkeitsbilder, Gegner der deutschen Urtümelei wie Kippenberger, Oehlen oder Trockel als fadenscheinige Klassenclowns, Vostell als Scherzartikelproduzent und Die tödliche Do

ris als Fashionshow. Viele solcher Positionen findet man allerdings nicht in "KuKK", denn es ist in erster Linie eine Malereiausstellung, die ihr Medium dort packt, wo Reaktionäres aufscheint. Das gilt für die hochgelobte Abstraktion der Fünfziger ebenso wie für die nationalen Wilden der Achtziger. Daß der Kalte Krieg eine politische Konfrontation zweier konkurrierender politischer Systeme war, daß es überhaupt andere Staaten gibt, innerhalb derer diese Konfrontation ausgetragen wurde, davon erfährt man in diesem Heimatmuseum nichts.

Die Ausstellung "Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945-89" ist noch bis 10. Januar 2010 im DHM Berlin zu sehen. Der Katalog ist bei Dumont erschienen (460 Seiten, 49,95 Euro).

Rosa Perutz ist eine in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main u. a. organisierte Gruppe, die seit Herbst 2008 an einer antinationalen Selbstorganisierung von Kunst- und Kulturproduzentinnen arbeitet (www.rosaperutz.com)

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36