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36 Jahre Konkret CD

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Heft 04 2008

Raul Zelik

By any means necessary

Die Krise in Lateinamerika scheint beigelegt - vorläufig, denn die Ursachen des Konflikts zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela bleiben bestehen.

Glaubt man den sogenannten seriösen Medien, dann hatte der südamerikanische Grenzkonflikt Anfang März vor allem einen Schuldigen: Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez. Empört über die Tötung eines kommunistischen Guerillakommandanten habe Chávez dem Staatschef in Bogotá mit Krieg gedroht. In seiner "berühmt-berüchtigten Art" (Deutschlandfunk) habe der despotische Populist zehn Panzerbataillone an die Grenze zu Kolumbien verlegt und damit den Frieden in der ganzen Region gefährdet.

Wie so oft, wenn es in der Bürgerpresse um mehr als Koalitionsgeplänkel geht, blieben bei dieser Berichterstattung die wesentlichen Fakten ausgeblendet. Denn die Krise war ganz eindeutig - und ausschließlich - von Kolumbien zu verantworten, dem wichtigsten Verbündeten der US-Regierung in Lateinamerika.

Am Morgen des 1. März informierte der rechte Präsident Kolumbiens, Alvaro Uribe, seinen ecuadorianischen Amtskollegen Rafael Correa, kolumbianische Militärs seien durch Guerilleros der Farc (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) angegriffen worden und hätten das Feuer erwidert. Bei den Gefechten habe man die Guerilla zwei Kilometer weit auf ecuadorianisches Staatsgebiet verfolgt und dabei Raúl Reyes, Nummer 2 der Farc, getötet. Zu Hause setzte die Regierung Uribe noch einen drauf: Sie ließ die einzig verbliebene landesweite Tageszeitung "El Tiempo" die Nachricht verbreiten, Quito habe dem Militärschlag zugestimmt. Praktischerweise ist das Blatt im Besitz der Santos-Familie, die in der Uribe-Regierung sowohl den Verteidigungsminister als auch den Vizepräsidenten stellt.

Schon bald stellte sich jedoch heraus, daß Uribe die Regierung in Quito belogen hatte. Die Sicherung des Tatorts ergab, daß die Guerilleros - insgesamt etwa 20 Personen - im Schlaf überrascht und getötet worden waren. Von einem Gefecht konnte keine Rede sein. Kolumbianische Fernsehsender schilderten den Hergang denn auch bald ganz anders. US-Militärs, die die Guerillabekämpfung mit Awacs-Maschinen, Flugdrohnen und Satellitenaufklärung koordinieren, hatten den Farc-Kommandanten Raúl Reyes anhand eines Telefonats geortet. Daraufhin waren Spezialeinheiten nach Ecuador eingesickert. Im Morgengrauen des 1. März bombardierten Kampfflugzeuge und Hubschrauber das Guerilla-Camp mit Clusterbomben. Reyes, der offensichtlich verletzt überlebte, wurde bei der Flucht von Bodentruppen festgenommen, hingerichtet und sein Leichnam nach Kolumbien verschleppt, wo er wie eine Trophäe vorgeführt wurde.

Für den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, der sein Land mit der sogenannten "Bürgerrevolution" in den vergangenen 14 Monaten mächtig durcheinandergewirbelt und eine bemerkenswerte Demokratisierungswelle in Gang gesetzt hat, war dieser Kriegsakt ein Affront. Quito bezichtigte Uribe der Lüge und kündigte an, die Grenzen zum Nachbarland zu militarisieren. Erst daraufhin schaltete sich auch Venezuela ein. Die Regierung Chávez, die realistischerweise davon ausging, daß der Protest des kleinen Ecuador ungehört verhallen würde, solidarisierte sich und brach ihrerseits die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien ab.

Dabei ging es keineswegs in erster Linie darum, daß ein Guerillakommandant außerhalb einer Gefechtshandlung getötet, sprich: ermordet worden war. Und auch die Tatsache, daß Kolumbiens Militärs 2 Kilometer weit ins Nachbarland vorgedrungen waren, stand - anders als viele Korrespondenten mit ihrem höhnischen Verweis auf "2.000 Meter Souveränität" zu wissen glaubten - nicht im Mittelpunkt der Affäre. Für die scharfe Reaktion in Quito und Caracas gab es eine Reihe anderer Gründe.

Erstens war die Militäraktion auch ein Schlag gegen eine politische Lösung des kolumbianischen Geiseldramas. Die Farc bemühen sich seit 1996 um einen Austausch von gefangenen Soldaten gegen inhaftierte Guerilleros. Nachdem ein solches Abkommen, das die formale Anerkennung der Farc als Bürgerkriegspartei implizieren würde, von Bogotá immer wieder blockiert worden war, ließ die Guerilla 2001 mehrere Hundert Soldaten frei und begann Offiziere und Politiker als Geiseln zu nehmen - darunter auch die "grüne" Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die von den Farc 2002 verschleppt worden war. Reyes war von den Farc als Verhandlungsführer in der Geiselaffäre benannt worden und stand in engem Kontakt mit den Regierungen von einem Dutzend Staaten, darunter auch Frankreich. Auf einem unmittelbar bevorstehenden Treffen mit Unterhändlern der Regierung Sarkozy wollten die - auch bei der kolumbianischen Linken weitgehend diskreditierten - Farc die Franco-Kolumbianerin Betancourt freilassen und dafür im Gegenzug von Frankreich als nicht-terroristische Organisation anerkannt werden. An diesen Gesprächen war Ecuador federführend beteiligt: Angeblich hatte die Regierung Correa von den Farc die Zusage erhalten, daß 14 Geiseln, darunter auch die drei Piloten eines abgeschossenen US-Spionageflugzeuges, freikommen würden.

Präsident Uribe, der über diese Bemühungen informiert war, wollte diese politische Aufwertung der Guerilla um jeden Preis verhindern, weil sie sein Versprechen eines militärischen Sieges als Farce erscheinen lassen würde. Daß sich die Militärs die diplomatischen Kontakte per Satellitentelefon zunutze machten, um Reyes zu orten, kann durchaus als weitere, gezielte Provokation verstanden werden.

Zweitens stellte die Uribe-Regierung mit der Aktion unter Beweis, daß sie alle Freiheiten jenes Ausnahmezustands für sich in Anspruch nimmt, der mit dem War on Terror global verhängt worden ist. Entführung, Folter und Mord gelten in diesem Zusammenhang als völlig legitim, solange sie nur der imperialen Staatsräson dienen. Die kolumbianische Staatsführung schlug dabei nicht zum ersten Mal in einem Nachbarland zu. 2004 bestach sie venezolanische Polizisten, um einen anderen Farc-Sprecher in Caracas zu entführen. Der Kolumbianer, gegen den kein internationaler Haftbefehl vorlag, wurde betäubt, über die Grenze geschafft und dort als "Fahndungserfolg" präsentiert.

Drittens wurde der Angriff auf die Farc von US-Militärs geleitet. Diese waren offensichtlich nicht nur an der Ortung von Reyes, sondern auch an der Bodenoperation in Ecuador beteiligt. Da für Linksregierungen in Lateinamerika US-Militäraktionen erfahrungsgemäß eine weitaus größere Gefahr darstellen als jede innenpolitische Opposition, wird diese Beteiligung auf ecuadorianischem Gebiet auch als versteckte Drohung gegen Quito und Caracas verstanden.

Und viertens schließlich ist schon seit Jahren zu beobachten, daß der kolumbianische Konflikt systematisch in die Nachbarländer exportiert wird. Zwar ignoriert auch die Guerilla die Grenzen, doch im wesentlichen vorangetrieben wird die Entwicklung von der Regierung in Bogotá und den mit ihr verbündeten Paramilitärs. Der sichtbarste Aspekt dieser Eskalationspolitik war in den vergangenen Jahren, daß Dörfer und Waldgebiete in Ecuador immer wieder mit dem Monsanto-Pflanzengift Roundup besprüht wurden. Doch bei den Herbizideinsätzen im Rahmen des Plan Colombia handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs. Daneben gibt es eine Reihe verdeckter Eingriffe, mit denen die innenpolitischen Auseinandersetzungen in den Nachbarländern verschärft wurden. 1999 ermordeten die kolumbianischen Paramilitärs der AUC (Autodefensas Unidas de Colombia - Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens) den linken Präsidentschaftskandidaten Jaime Hurtado in Quito, entführten den venezolanischen Industriellen Richard Boulton - wobei man sich als kolumbianische Guerilla ausgab - und raubten in Panama mehrere Hubschrauber. Es blieb nicht bei diesen vereinzelten Angriffen, mit denen die Öffentlichkeit der Nachbarländer polarisiert werden sollte. Es gibt Hinweise, daß kolumbianische Paramilitärs bereits am Putschversuch 2002 gegen die Regierung Chávez beteiligt waren. Und bekannt ist, daß 2004 mehr als 100 Paramilitärs in Caracas verhaftet wurden, als sie einen bewaffneten Aufstand vorbereiteten - sie trugen venezolanische Armeeuniformen.

Diese Operationen hatten offensichtlich Rückendeckung aus dem kolumbianischen Staatsapparat. Ein hochrangiger Funktionär der DAS-Polizei erklärte, seine Behörde, rechte Todesschwadronen, die Uribe-Regierung und venezolanische Oppositionelle hätten gemeinsam auf einen gewaltsamen Sturz von Chávez hingearbeitet. Es habe sich dabei um eine "von ganz oben" abgesegnete Politik gehandelt.

Vor diesem Hintergrund muß man davon ausgehen, daß die fernsehöffentlich zelebrierte Aussöhnung zwischen den Staatspräsidenten Correa, Chávez und Uribe Anfang März nicht von Dauer sein wird. Die Lage in Südamerika bleibt gespannt. Das hat zum Teil mit der Dynamik in den Ländern selbst zu tun. Chávez hat den Mittelschichten nach der Niederlage beim Verfassungsreferendum eine Versöhnung angeboten und erreicht die Bewohner der Armenviertel spürbar weniger als früher. Kritiker sprechen von einem Durchmarsch der "endogenen Rechten" in der Regierungskoalition, aber auch von einer verwirrten, sich extremistisch gebärdenden Linken. In Ecuador muß Correa, der das politische Establishment in seinem ersten Amtsjahr geschickt ausschaltete, der Verfassungsreform nun auch soziale Transformationen folgen lassen - was absehbar zu einer Mobilmachung der Eliten führen wird. Und in Kolumbien schließlich ist zwar die Regierung Uribe von einer Serie von Politikskandalen gebeutelt, jedoch weder die Mitte-Links-Opposition noch die wegen ihres Autoritarismus völlig diskreditierte und nun auch noch militärisch angeschlagene Farc-Guerilla in der Lage, daraus Kapital zu schlagen.

Aber entscheidender als diese Entwicklungen ist die Haltung der USA. Washington hat Kolumbien als militärische Regionalmacht in Stellung gebracht. Seit 1999 wurde das Land mit jährlich 500 Millionen US-Dollar hochgerüstet, die Armee grundlegend umstrukturiert. Dabei hat man eine mafiöse Ultrarechte stark gemacht. Eigentlich ist die Regierung Uribe ein Phänomen: Der Präsident wurde Anfang der neunziger Jahre von US-Behörden als eine der 100 wichtigsten Personen des Medellín-Kartells bezeichnet. Mehrere Präsidentenberater hatten engste Kontakte zum Drogen-Capo Pablo Escobar. Gegen 50 Abgeordnete der Regierungskoalition ermittelt die Justiz wegen Verbindungen zu den Todesschwadronen der AUC, 22 Abgeordnete sitzen bereits im Gefängnis. Doch trotzdem - oder deshalb - kann Uribe nach wie vor auf Rückendeckung aus den USA zählen. Offensichtlich deshalb, weil sich diese mafiöse Rechte bestens für eine Geheimkriegsführung in der Region eignet. Für Washington geht es darum, daß nicht widerspruchslose, aber bemerkenswerte Erstarken von Widerstandsbewegungen und linken Wahlbündnissen auf dem Kontinent zu stoppen. By any means necessary - mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.

Raul Zelik ist Schriftsteller und veröffentlichte zuletzt den Roman "Der bewaffnete Freund" (Blumenbar-Verlag)

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36