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36 Jahre Konkret CD

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Heft 03 2002

Christian Y. Schmidt

"Bild" regiert

Gegen die "Bildzeitung" kann niemand in Deutschland regieren. Noch nicht einmal ohne sie. Wer es dennoch versucht, wird schnell eines Besseren belehrt.

Jürgen Trittin zum Beispiel. Der ist zwar ein politischer Opportunist, glaubte aber zunächst, sich auch als Regierungsmitglied einen Hauch von persönlicher Würde bewahren zu dürfen. Eine Zeitlang verweigerte er sich dem Blatt, speziell ihrem Klatschkolumnisten Graf Nayhaus. Dafür wurde er von "Bild" bestraft. Das Blatt brandmarkte Trittin so lange als verkappten Linksradikalen, verbohrten Ökologen, Versager und Verlierer, bis er schließlich aufgab und sich der "Bildzeitung" rituell unterwarf. Dafür genügte eine einfache Postkarte, die Trittin im Juli 2001 von der Klimakonferenz in Bonn "an die ›Bild‹-Leser" schrieb. Seitdem hat man in "Bild" über den grünen Umweltminister nichts Negatives mehr gelesen. Im Gegenteil: "Ist Trittin der neue Liebling des Kanzlers?" fragte "Bild" bereits in derselben Ausgabe, in der sich auch das Faksimile der Postkarte fand.

Gerhard Schröder hat niemals Trittins Probleme gehabt. Dem Kanzler ist so etwas wie persönliche Würde fremd. Schröder interessiert sich nur für die Macht und deshalb von allen Medien, wie er sagt, nur für "›Bild‹, ›BamS‹ und Glotze". Er weiß, daß jeder, der in diesem Land Kanzler sein will, dieser Trinität auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Deshalb sorgte er als SPD-Kandidat bereits bei der letzten Bundestagswahl vor und ließ sich vom damaligen "Bild"-Redakteur Bela Anda (als einem von zwei Autoren) termingerecht eine Jubelbiographie schreiben. Nach dem rot-grünen Wahlsieg wurde Anda dann umgehend zum stellvertretenden Regierungssprecher befördert. Es ist kein Geheimnis, daß dieser Mann nur angestellt wurde, um den direkten Draht zwischen Kanzleramt und "Bild"-Redaktion zu pflegen.

Auch der Kandidat der Union, Edmund Stoiber, weiß, daß man ohne die "Bildzeitung" in Deutschland nicht Kanzler werden kann. Folgerichtig ernannte er im Januar Michael H. Spreng zum Chef seines Wahlkampfteams. Spreng war zehn Jahre lang Chefredakteur der "Bild am Sonntag". Zwar wurde er im Oktober 2000 gefeuert, weil er dem Vorstand des Springerkonzerns "zu links" gewesen sein soll, doch das ist nur einer der Scherze, die heutzutage gemacht werden, wenn man nicht weiß, warum etwas passiert - oder es nicht schreiben darf. Sprengs gute Kontakte zu "Bild" werden unter dem Rauswurf kaum gelitten haben. Wäre es anders, hätte sich Stoiber sicher nicht für ihn entschieden.

Trittin, Anda und Spreng - drei Beispiele, die zeigen, wie die "Bildzeitung" (und damit der Springerkonzern) das vorhandene politische Personal beeinflußt, unter Druck setzt und ihm gegebenenfalls "Bild"-erprobtes PR-Personal zur Seite stellt. Die Liste ließe sich problemlos erweitern: Um den Ex-"Bild"-Chefredakteur Peter "Pepe" Boenisch beispielsweise, der von 1983 bis 1985 Regierungssprecher im Kabinett Helmut Kohls war, oder um den Ex-"Bild"-Chef Hans-Hermann Tiedje, Kohls Wahlkampfmanager im 98er-Wahlkampf.

Neuerdings aber scheint man sich bei Springer mit dieser Form der politischen Machtausübung nicht mehr zu begnügen. Das zeigte sich im Zuge der letzten Hamburger Bürgerschaftswahl und der anschließenden Senatsbildung. Hierbei wurde das Repertoire der Einflußnahme des Springerkonzerns auf die Politik um zwei interessante Varianten erweitert.

Die erste Variante ist der neue Hamburger Innensenator. Denn mit Ronald Schill, ihrem "Richter Gnadenlos", hat die "Bild"-Zeitung erstmals einen Politiker selbst erschaffen. Schill ist ein ebenso reines "Bild"-Produkt wie die "Bild"-Zombies Jenny Elvers, Verona Feldbusch oder Jeanette Biedermann. Im Nachhinein will es beinahe scheinen, als seien Elvers & Co. nur erste Prototypen gewesen, die "Bild" auf dem harmloseren Terrain der Unterhaltungsindustrie erprobte, um schließlich einen Schill konstruieren zu können. Wie die anderen "Bild"-Monstren ist Schill ganz und gar abhängig von den Entscheidungen der "Bild"-Redaktion. Dort hat man ihn angeschaltet und dort wird man ihn bei Bedarf auch wieder ausschalten.

Die zweite Variante ist die Ernennung der ehemaligen Leiterin des "Bild"-Kulturressorts und stellvertretenden "WamS"-Chefredakteurin Dana Horáková zur Hamburger Kultursenatorin. Erstmals stellt damit die Redaktion der "Bildzeitung" direkt ein Mitglied einer Landesregierung. Das hat besonders der liberalen Presse nicht gefallen. Ein "Stückchen Ohnsorg-Theater" nennt Christof Siemes in der "Zeit" die Senatorinnenkür, bemängelt, daß "Kritik in Horákovás publizierter Kunstwelt" nicht stattfinde und fragt entrüstet: "Prädestiniert das irrwitzige Talent zur Vereinfachung jemanden schon zur Kultursenatorin?"

Genau das, kann man Herrn Siemes nur antworten, schließlich: Was prädestiniert denn Gerhard Schröder anderes zum Bundeskanzler als sein irrwitziges Talent zur Vereinfachung, zur Lüge oder zur Phrase? Allein weil bei Frau Horáková aufgrund ihres Backgrounds die einzig benötigte Qualifikation für ein politisches Amt deutlicher zutage tritt als bei anderen, ist ihre Berufung zur Senatorin zu begrüßen. Auch daß der Springerkonzern nunmehr dazu übergegangen ist, politische Ämter direkt mit Leuten aus den eigenen Reihen besetzen zu lassen, ist nicht schlecht. Eventuell werden dem einen oder anderen "Zeit"-Journalisten dadurch bestimmte Zusammenhänge etwas klarer.

Bedenklicher als die Hamburger Senatorinnenwahl aber ist, was sich seit einiger Zeit auf den Seiten der "Bildzeitung" selbst abspielt. Schließlich ist "Bild" nicht nur ein Hetz- und Manipulationsorgan, das Politik, Politiker und Bevölkerung in diesem Land beeinflußt. Umgekehrt ist das Blatt auch so etwas wie ein Seismograph für das, was die Mehrheit der Deutschen denkt. Das heißt: Auch die Redaktion der "Bildzeitung" (oder eben der Springerkonzern) kann nicht völlig frei entscheiden, welche ideologischen Versatzstücke sie unters Volk bringt und hier erfolgreich durchsetzt. Ihren Manipulationen sind durch das, was man allgemeine Trends, Zeitgeist oder kollektives Unbewußtes nennen mag, Grenzen gesetzt.

Insofern ist es aufschlußreich, daß die Kolumne "Post von Wagner" des Ex-"BZ"- und "Bunte"-Chefs Franz-Josef Wagner zu einer der beliebtesten des Blattes gehört. Um festzustellen, daß es sich bei Wagner um einen echten Borderline-Irren handelt, muß man nur wenige dieser "Briefe" gelesen haben. Diesen zum Beispiel, aus "Bild" vom 26. 10. 2001: "Lieber 24. Oktober, liebes Vorgestern, heute schreibe ich zum ersten Mal an einen Tag, ihn mir als Mensch vorstellend. Lachend klingelte er am Mittwoch an meiner Tür, legte Zeitungen und Brötchen hin. Auf der ersten Seite von "Bild" strahlten Steffi und André als glückliches Ehepaar ... Ehe ich sagen konnte ›Lieber Mittwoch, bleib noch ein bißchen‹, verschmorten 20 oder mehr Menschen im Gotthard-Tunnel. Heute ist der 26. Oktober. Ich sehne mich nach dir, liebes Vorgestern. Herzlichst Franz Josef Wagner."

Die Tatsache, daß einer so was in "Bild" schreiben darf - noch vor zehn Jahren in dieser Form undenkbar -, und sein Erfolg beim "Bild"-Publikum spiegeln nichts weniger als die allgemeine Psychopathologisierung der Gesellschaft. Sollte es "Bild" irgendwann gelingen, einen Geisteskranken vom Schlage Wagners an der Spitze der deutschen Politik zu installieren (und daß dies nicht unmöglich ist, zeigt allein das Beispiel des dementen amtierenden Verteidigungsministers), wird es Zeit, die Koffer zu packen.

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36