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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 07 2003

Joachim Rohloff

Bereich Recherche

Woran erkennt man einen deutschen "Enthüllungsjournalisten"? Daran,

daß er seine Firma vor dem bewahrt, was andere über sie herausfinden.

Lange haben die Gründer des "Netzwerks Recherche", das aber in Wirklichkeit gar kein Netzwerk ist mit kleineren und dickeren Knoten, sondern ein ganz normaler Verein mit einem Vorstand und einem Kassenwart, um die Frage gerungen, ob sie auch Angestellte des Springer-Verlags aufnehmen sollten in ihre "Lobby für den in Deutschland vernachlässigten investigativen Journalismus" und für "die Interessen jener Kollegen, die oft gegen Widerstände in Verlagen und Sendern intensive Recherche durchsetzen wollen. Der Verein sieht sich in der Pflicht, wenn Funktionsträger den freien Fluß von Informationen behindern, wenn kein Geld für Recherchen zur Verfügung gestellt wird, wenn Kollegen für korrekte, kritische Arbeit angegriffen oder zum Teil sogar juristisch verfolgt werden. Zu den zentralen Zielen des Netzwerks gehört es zudem, die Aus- und Fortbildung im Bereich Recherche zu verbessern."

Zwar erhofften sie sich wenig von der Mitwirkung solcher Kollegen, die ihre intensive Recherche am liebsten in Oliver Kahns Unterhose durchsetzen, aber schließlich verzichteten die Netzwerker doch auf eine Klassenschranke und luden zu ihrer diesjährigen Tagung auch Claus Strunz ein, den Chefredakteur von "Bild am Sonntag". Zuerst wurde ein neuer Vorstand gewählt, in dem nun einige der renommiertesten annähernd deutschsprachigen Journalisten sitzen; der Chefreporter des SWR-Fernsehens, Dr. Thomas Leif, neben dem leitenden Redakteur der "Süddeutschen Zeitung", Hans Leyendecker, der sagenhafte Christoph Maria Fröhder neben dem Chefredakteur des Deutschlandfunks, Prof. Rainer Burchardt, und der Direktor der Holtzbrink-Schule, Joachim Weidemann, neben Anja Reschke, der Moderatorin des ARD-Magazins "Panorama". Und da die investigativen Rechercheure für "Negativschlagzeilen" zuständig sind, verliehen sie ihren "Negativ-Preis", die "geschlossene Auster". Im letzten Jahr hatte Otto Schily sie erhalten, und in seiner Dankesrede hatte er gelobt, sich zu bessern, diesmal ging sie an die Supermarktkette Aldi, einen notorischen "Infoblocker".

Anschließend "verabschiedeten die Mitglieder des Netzwerk Recherche", so steht es jedenfalls auf ihrer Homepage zu lesen, "zwei Resolutionen, deren Umsetzung die Recherche-Kultur in Deutschland verbessern soll. Zum einen fordert das Netzwerk Recherche die unverzügliche Einführung eines bundesweiten Informationsfreiheitsgesetzes, zum anderen ein sofortiges Ende der Telefonüberwachung von Journalisten. Mit Sorge beobachtet das Netzwerk Recherche, daß ein in der Öffentlichkeit wenig bekanntes Reformprojekt der Bundesregierung in der Ressortabstimmung zu versanden droht: Die Einführung eines bundesweiten Informationsfreiheitsgesetzes, die bereits in der alten Legislaturperiode am Widerstand der Ministerialbürokratie gescheitert war, verzögert sich offenbar weiter. Ziel des Gesetzes ist, ein allgemeines Akteneinsichtsrecht bei Bundesbehörden zu schaffen und damit einen Level an Transparenz zu erreichen, das in anderen europäischen Ländern längst selbstverständlich ist."

Doch, das alles steht da, wortwörtlich, in einer offiziellen Erklärung, nicht länger als eine halbe Schreibmaschinenseite, verfaßt im Namen unserer besten Federn: das Level und ihre Umsetzung, das Projekt, das schon versandet war und nun zu scheitern droht, und auch das noch: "Durch die Überwachung von Journalisten kann heute ein wirksamer Informantenschutz nicht mehr gewährleistet werden." Und das: "Die Bundesregierung sollte als ersten Schritt einen jährlichen Bericht an den Bundestag über Umfang und Ergebnis sämtlicher Telefonüberwachungsmaßnahmen zur Herstellung von Transparenz abgeben." Während also gestern die Informanten durch die Überwachung der Journalisten geschützt wurden, muß die Bundesregierung morgen einen Schritt abgeben als Bericht über sämtliche Maßnahmen zur Herstellung von Transparenz.

Am letzten Vormittag der Hauptversammlung kam der Bundeskanzler zu Besuch, und 350 kritische Journalisten ließen sich von ihm erheitern. Ernst wurde er nur, als er von den "Rahmenbedingungen" sprach, die "gesetzt werden müssen, um das Überleben einer möglichst vielfältigen Zeitungslandschaft zu ermöglichen. Wir müssen da ran, ohne daß wir Subventionstöpfe aufmachen können oder wollen." Woran mag er gedacht haben? Will er seine "Agenda 2010" um eine Bestimmung erweitern, die jeden arbeitslosen Kraftfahrer zwingt, eine Redakteursstelle beim "Spiegel" anzunehmen?

Am Abend besprach ein halbes Dutzend Chefredakteure die wirtschaftliche Krise der überregionalen Qualitätspresse. Sie alle - so müßte man formulieren, wenn man in ihren Diensten stünde - setzten darauf, daß Schröder die Umsetzung seiner Ankündigung durchsetzt. Denn selbstverständlich hatte er das Kartellrecht gemeint, welches bekanntlich nur solange taugt, wie es nicht angewendet wird. Deshalb gibt es ein Kartellamt, das Entscheidungen fällt, und einen Wirtschaftsminister, der sie wieder aufhebt. Giovanni di Lorenzo vom Berliner "Tagesspiegel" hielt es denn auch für ganz und gar vernünftig und unvermeidlich, daß sein Verleger Holtzbrinck die "Berliner Zeitung" kauft, es müsse aber die Selbständigkeit der beiden Redaktionen erhalten bleiben. Gewisse Synergieeffekte wird er vermutlich leicht ertragen, da sie die niederen Chargen betreffen werden und nicht ihn.

Vom krisenfesten Strunz kam die These, viele Blätter seien nur deshalb in Not geraten, weil sie die Bedürfnisse des Marktes nicht befriedigten. "Wenn eine Zeitung verschwindet, war sie nicht gut genug gemacht." Die anderen Chefs mochten ihm selbstredend nicht zustimmen, an der Qualität der "Süddeutschen", der "Taz", der "Frankfurter Rundschau", der "FAZ" sei überhaupt nicht zu zweifeln, es liege vielmehr am "Erlösmodell". Die Auflage sei in den letzten Jahren gestiegen, nur die Anzeigen, die in der Vergangenheit für zwei Drittel, in besonders guten Zeiten sogar für achtzig Prozent der Einnahmen gesorgt hätten, ließen sich neuerdings nicht mehr im nötigen Umfang akquirieren. Und nun war der Moment gekommen, da Frank Schirrmacher die erschütternden Worte sprach: "Es ist bisher noch kein plausibles Finanzierungskonzept für diese Art Zeitung gefunden worden."

Diese Art Zeitung gibt es aber mindestens seit hundert Jahren, und gerade die "FAZ" präsentiert sich täglich im vollen Besitz der urteilssichersten Wirtschaftskompetenz. Der Ressortleiter Barbier und seine Kollegen können noch im Schlaf die Rezepte herunterbeten, die allen Branchen und der Volkswirtschaft insgesamt zum Aufschwung verhülfen, würden sie nur endlich angewandt. Und da sollten sie nicht in der Lage sein, die eigene Firma vorm Konkurs zu bewahren? Aber gewiß doch: Es müßte die eine Hälfte der Redaktion entlassen und die andere zu doppelter Arbeit ohne Lohnausgleich gezwungen werden, und zwar bis zum siebzigsten Lebensjahr. Das Feuilleton würde entweder ganz eingespart oder für ein niedriges Zeilengeld von polnischen Germanistikstudenten in Szczecin gefertigt. Vielleicht ist Schirrmacher zu arrogant, um die Experten in seinem Haus zu fragen; er glaubt jedenfalls, eine Preiserhöhung auf drei bis vier Euro sei die einzig mögliche Rettung, vorausgesetzt, die Auflage sinke dann nicht. Und wenn sie doch sinkt? Wird die "FAZ" dann von Springer übernommen und von Strunz und "Bild am Sonntag" durchgefüttert? Oder werden wir bald eine private Unterhaltungspresse haben und eine öffentlich-rechtliche Qualitätspresse mit einem Informationsauftrag, die sich zum kleineren Teil durch Anzeigen finanziert und zum größeren von der GEZ finanziert wird?

Wie auch immer die Zukunft des Journalismus sich gestalten wird, das Netzwerk jedenfalls sorgt unbeirrt für die Fortbildung der Kollegen und die Ausbildung des Nachwuchses. Denn nur wer Bescheid weiß über die Erfordernisse, Möglichkeiten und Grenzen fundierter Recherche, kann der "Korruptionskultur" entgegenarbeiten und einer gesitteten "Skandalkultur" auf die Beine helfen. Jenseits der großen Skandale jedoch, die von seinen Mitgliedern aufgedeckt wurden, produzierte das Netzwerk selbst sein eigenes kleines Ärgernis.

Im Januar dieses Jahres veranstaltete es in Hamburg ein Seminar, auf dem auch der Soziologe Hersch Fischler, der mit seinen Forschungen über den Reichstagsbrand und dessen historische Aufbereitung im "Spiegel" sowie über die Vergangenheit des Hauses Bertelsmann bekannt geworden ist, einen Vortrag hielt. Sein Thema waren die Schwierigkeiten, die interessierte Kreise ihm bereiteten, als er sich darum bemühte, die Geschichte des Bertelsmann-Verlags während der Naziherrschaft und ihre falsche Darstellung in der Nachkriegszeit zu untersuchen. Fischlers Erfahrungen schienen den Veranstaltern lehrreich, und so forderten sie ihn zu einem Beitrag für ein "Trainingshandbuch" auf, das herauszugeben das Netzwerk plante und das inzwischen auch erschienen ist.

Handelte die Auseinandersetzung zwischen Fischler und dem zuständigen Redakteur, die nach der Abgabe des Manuskripts begann, zunächst nur von kleineren Verbesserungsvorschlägen, so stellte sich nach einiger Zeit heraus, daß es dem "didaktischen Anspruch" des Handbuchs nicht genügte. Nun mußte es plötzlich gekürzt und von einem anderen Autor mit Anmerkungen versehen werden. Als Beispiel einer gelingenden Didaktik, die erfahrenen Rechercheuren die "Basics" in die Hand gebe, anhand deren "erfahrene Rechercheure den jungen Kollegen vermitteln können, wie sie ihre Zähne schärfen können", wurde Fischler ein anderer Beitrag zum Handbuch empfohlen, den er einen "PR-Artikel" zugunsten von Greenpeace nennt. Zufällig ist diese Organisation eine der Geldgeberinnen des Netzwerks.

Und ein Verlag des Bertelsmann-Konzerns veröffentlichte das Handbuch, allerdings ohne Fischlers Text, dessen Titel "Welche Kreise Recherche ziehen kann" lautet. Darin geht es um die Geschichtslegende des Hauses Bertelsmann, um den angeblichen stillen Widerstand seines Inhabers, des Christenmenschen Heinrich Mohn, der im Dritten Reich unerwünschte Literatur produziert habe, um die Bedrängungen, die er aus diesem Grund erfahren habe, um seine strafrechtliche Verfolgung und um die Schließung seines Verlags. Fischler nahm 1998 einige häßliche Korrekturen an diesem Historiengemälde vor. In Wirklichkeit hatte Bertelsmann mit völkischer Literatur für die Frontsoldaten gute Geschäfte gemacht, Mohn war ein förderndes Mitglied der SS gewesen, und seine Firma war nicht wegen politischer Abweichung, sondern "wegen Teilnahme an Korruption bei Wehrmachtslieferungen und wegen anderer Wirtschaftsdelikte" geschlossen worden.

Das Haus Bertelsmann dankte und beauftragte eine Historikerkommission mit weiteren Untersuchungen. Zugleich aber habe der Vorstandssprecher der Bertelsmann AG, Professor Harnischfeger, den Intendanten des ZDF, Professor Stolte, der im Beirat der Bertelsmann-Stiftung saß, dazu gedrängt, weitere einschlägige Beiträge Fischlers im Fernsehmagazin "Kulturzeit" zu verhindern. Im Zusammenhang seiner Recherchen über den Reichstagsbrand hatte Fischler zuvor erleben müssen, wie schwer es ist, im "Stern", der Gruner + Jahr gehört, einem Unternehmen, das Bertelsmann gehört, der Geschichtsschreibung des "Spiegel" zu widersprechen, an dem Gruner + Jahr beteiligt ist.

Wer in der Branche schon etwas ist und womöglich noch mehr werden möchte, so scheint es, legt sich mit den Mächtigen nicht gern an. Die Erfahrung, daß scharfe Zähne oft nicht ausreichen, werden die Nachwuchsjournalisten deshalb nun selbst machen müssen. Derweil sorgt der Kanzler dafür, daß die Mächtigen weniger und deshalb mächtiger werden und daß es bald kaum noch eine Zeitung gibt, die nicht mit allen anderen verwandt ist.

Joachim Rohloff schrieb in KONKRET 5/03 über den Bestseller-Autor Möllemann

KONKRET Text 56


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Literatur Konkret Nr. 36