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36 Jahre Konkret CD

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Heft 07 2005

Mathias Wedel

Bauch statt Kopf

Kulturschaffende trauern um ihren Schröder

Nein, sie weinen nicht! Sie sind rechtschaffen zornig, erschrocken, irgendwie auch beleidigt, melancholisch, weil es so schön gewesen ist, stolz, für eine zwar historisch kurze, aber verdammt bedeutende Etappe in Gerds und Joschkas Körpergeruch respektive Zigarrenduft gestanden zu haben, und giftig, wenn ihnen schwant, was jetzt kommt. Vor allem was für ein Personal!

Die Intelligenzija, (einschließlich Fußballern), die sich über ihre Teilnahme an Kanzlers Rotweinabenden definierte, sich bei den Vernissagen, zu denen Schröder auftauchte, mit Bussi links und Bussi rechts als eintrittsberechtigt abstempelte, die dem Gerd von Nida-Rümelin zu gutem Essen und "Strategiegesprächen" über die Popmusik im Rotgrünen Projekt zugeführt wurde und aus der dieser und jener "mal bei ihm im Büro vorbeigeschaut" hat (Klinsi), hat sich noch nicht wieder gefunden. Noch haben der Udo, der Wolfgang, der Marius und der Herbert keine Annoncen geschaltet, mit denen sie das böse Ende der Kumpanei zwischen "Geist" und Macht beschreien. Das steht uns noch bevor. Aber sie lassen einander wissen, was sie verloren haben.

Klaus Staeck, wie stets mit einem Zug ins Cholerische, was für ihn seit den Fünfzigern zum Klassenkampf dazugehört: Er ist "nicht nur zornig auf Teile der SPD, sondern auf den Zustand der Demokratie allgemein", auf "Bevölkerungsteile, die die Demokratie für selbstverständlich nehmen". Sollten sie nicht? Wenn es gilt, die Sozialdemokratie zu retten, da kneifen diese Teile! Peter Rühmkorf, der nicht widerspricht, ein SPD-Dichter genannt zu werden, ein mit Ironie begabter Kurztextwerker, ist empört, denn "die arbeiten wie verrückt, und da kommt sogar noch das Kabarett und putzt unsere parlamentarisch gewählten Vertreter zu Doofpuppen herunter". Und das darf es nicht. Das durfte es nur mit Helmut Kohl. Peter Schneider sieht "das Ende eines hoffnungsvollen Experiments". Und das ist Konsens, wenn es an die Trauerarbeit geht.

Tatsächlich ist mit Gerhard Schröder und den grünen Besserverdienenden etwas erreicht worden, was es seit Ludwig dem XVI. nicht mehr gab - die Auflösung aller Politik in Stilfragen. In der "Berliner Republik" und der "neuen Mitte" wurde ausdifferenziert, was in und was out war: Prosecco, Sushi, Streik, Irakkrieg und braune Sandalen. Das ist anziehend für Leute, die diesem Problemfeld ihre berufliche Existenz gewidmet haben. Und sie haben lange warten müssen, bis eine Regierung sie ebenso schätzte, "wie die verdienten Knochenarbeiter" in ihren Basisorganisationen (Schneider). Kohl umgab sich nicht mit Künstlern, nur mit seiner Strickjacke und fuhr nur alle paar Jahre zu Ernst Jünger, um zu gucken, ob er noch lebt. Es gab was nachzuholen.

Marius Müller-Westernhagen, des Kanzlers Tanzaffe, der mit Schröder quasi im Partnerlook über sieben Jahre durch "das Projekt" lustwandelte, er schweigt. Vielleicht, weil ihn noch keiner gefragt hat. Soll er, und sollten sie alle. Sie alle sind auf eine eigentümliche Weise disqualifiziert, uns die Vorfreude auf Angela Merkel und die kommende geistig-moralische Wende zu vermiesen. Nicht, weil sie Schröder und Fischer im Background auf offener Bühne als Projektionsfläche gedient und die alerten Eventagenten Naumann und Nida-Rümelin nicht durchschaut haben. Nein, sie haben heftiger gefehlt: Sie haben sich nicht dem Körperkontakt mit Schröder entzogen. Sie haben es mit sich machen lassen, wenn sie sich nicht sogar hingegeben haben.

Die "Berliner Republik" (identisch mit dem sozialdemokratischen Feldversuch zur Aufhebung des Klassenantagonismus) war nämlich ausgesprochen haptisch veranlagt, von Berührungssehnsucht erfüllt. Man faßte sich an sämtliche frei verfügbare Extremitäten. Schröder hing, drückte und schubberte sich an der Pop- und an der Hochkultur (aber nie an den Wildecker Herzbuben oder Dieter Bohlen!), verschmolz förmlich mit Udo Lindenberg, als wollte er mit unter dessen Hut. In diesem Betatschen und Befummeln lag das Heilsversprechen, daß alles nicht so ernst gemeint sei, die Garantie auf Spontaneität statt fieser Berechnung. Der regierungsseitige Körperkontakt ist das Konkretum für ein ganzes kurzes Zeitalter, das der gefühlten Politik: Bauch statt Kopf. Das taktile Zeichensystem stand dafür, daß Politik nicht mehr auf Zielvorgaben angewiesen, daß zwischen Oben und Unten über den Austausch von Körperwärme zu vermitteln sei und eventuelle Härten (die Sachzwänge!) zum guten Ende doch irgendwie weggetätschelt werden könnten. So wurden die Gewächse der Pop-Intelligenz nicht nur zu Kollaborateuren der politischen Klasse (wie die "Welt" schrieb), sondern zu Anfaßpuppen, die man zur Nachahmung und Abschreckung gleichermaßen auf der "Straße der Besten" aufgehängt hatte. (Nur Denker, die auch ins Kanzleramt eingeladen waren und hingingen, schon weil es die Neugier gebot - Christa Wolf, Volker Braun - blieben verschont.)

Sieht man die bis dato gedruckte, mehr oder weniger sprachgewaltige Trauerarbeit durch, so ähnelt sie sich in vielem. Als erstes gilt: Wir lassen uns unseren Schröder nicht nehmen. Gültig und schön drückt das der Filmregisseur Klaus Lemke im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" aus: "Er ist ein Supermacho." Und auf die Einlassung des Reporters, der Supermacho werde im Herbst gewißlich untergehn: "Aber mit Sexappeal." Die "Taz" lobte in einem ihrer zahlreichen Nachrufe die Einführung der "sequentiellen Polygamie" durch Fischer und Schröder in das deutsche Paarverhalten. Die beiden zeigten uns, was außer Silberhochzeit noch möglich ist. Darum gilt die Formel: "Für Kohl hat man sich ein wenig geschämt; auf Schröder war man ein wenig stolz." Schneider ist (im "Spiegel") anhaltend erotisiert: "eine junge, lässige, innovationsfreudige, gutaussehende Mannschaft ... der das Karrieredenken zumindest nicht in die Frisur geschnitzt war".

Besonders im Vergleich wird klar, was wir gerade verlieren. Nicht im Vergleich mit Kohl - das wäre keine Kunst - nein, gemessen an dem, was unserer harrt. Man stelle sich nur vor: Fischer kommt, natürlich verspätet, zu einem wichtigen internationalen Kongreß. Spricht frei, humorvoll, adressiert stellenweise tremolando und suggestiv zwanzig Minuten lang zu allen galaktischen Fragen. Schmunzeln, Lachen, Beifall, Höschen werden geworfen - und ab. Und nun macht das mal mit Westerwelle! Man darf das gar nicht imaginieren, Rühmkorf schüttelt es: "Ich will Angela ja nichts Böses, aber wenn ich diesen nach unten gebogenen Winkelhaken von Mund betrachte, dann sehe ich zu viel Anstrengung. Damit darf man nicht in den Job gehen." Wenig Anstrengung - das läßt sich von Schröder lernen.

Auch mit seinem letzten Coup - Neuwahlen! - erntet der Kanzler nur Anerkennung für sein sportliches Herangehen: "Ein Mann, der seinen Weg geht" (Klinsmann), "Was da für ein Schrei der Begeisterung durchs Land ging!" (Lemke) usw.

Und woran ist der gute Mann vorerst gescheitert? Da gibt es vorübergehend zwei Antworten, über die wir alle mal nachdenken sollten. Sie sind beide bitter: Erstens "die Regierung kann doch nicht einfach eine Million Leute einstellen" (Klaus Staeck), zweitens: "Schröders Schritt, Kapital und Arbeit zu versöhnen, ist mißlungen. Weil ihm das Kapital sein Entgegenkommen nicht vergolten hat."

Genau so war es nämlich eigentlich gedacht gewesen. Na ja, vielleicht beim nächsten Mal.

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Literatur Konkret Nr. 36