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36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 06 2009

Günter Amendt

Alles ist gut

Bob Dylans neues Album beschwingt - obwohl die Themen alles andere als gute Laune versprechen.

Da hat sich einer ganz schön weit vorgewagt. Unter der Überschrift "Ein einziger majestätischer Tanz" veröffentlicht die "Süddeutsche Zeitung" eine halbseitige, groß aufgemachte Besprechung von Bob Dylans neuem Studioalbum "Together Through Life". Dieses Album sei, so Willi Winklers euphorische Konklusion, "das Beste, Schönste und Größte, was der Meister in den letzten dreißig Jahren ausgeliefert hat". Als ich das las, hatte ich die Platte noch nicht gehört. Was auf dem Vorweg im Internet zu hören war, klang auf den Miniboxen meines Laptops nicht besonders aufregend. Also war ich, als ich das Album schließlich in den CD-Player schob, gespannt, ob sich Winklers Euphorie, die er mit vielen Kritikern teilt, auf mich übertragen würde.

Der erste Eindruck: ein neuer Sound, ein frischer Wind. Auf seinem Weg ins "amerikanische Urstromtal" (Winkler) ist Dylan endgültig im Süden des Landes angekommen. Hier, im Kernland des Blues, singt er im Ton der großen Alten, die in dieser Landschaft ihre Bluesspuren hinterlassen haben. Spätestens mit "Time Out of Mind" war dieser Weg vorgezeichnet. Und wer das bewegende New-Orleans-Kapitel in den Chronicles. Volume One gelesen hat, weiß, wie sehr ihn die Magie dieser Landschaft erfaßt hat, in der die Geister der Vergangenheit so gegenwärtig sind und die Toten des Bürgerkrieges nicht zur Ruhe kommen.

In den zehn Songs, die Dylan, von einer Ausnahme abgesehen, gemeinsam mit Robert Hunter, dem Texter der Grateful Dead, verfaßt hat, geht es - wie fast immer bei Dylan - um sehnsuchtsvolle Liebesbekundungen und vergebliche Liebesmühen. Die Welt, in der sich der Sänger abmüht, ist aus den Fugen geraten. Das war sie schon in den vorangegangenen Alben. Dylans Weltsicht ist apokalyptisch, daran sollte man sich gewöhnt haben. Was den Unterschied zu den Vorgängern ausmacht, ist die merkwürdig beschwingte Stimmung, die das neue Album vom ersten Song an auslöst, obwohl doch die Themen, um die es geht, alles andere als gute Laune versprechen. Das liegt an den Arrangements und der Rolle, die Dylan dem Akkordeon von David Hidalgo zuweist.

Wie schon "Love and Theft" hat Dylan unter dem Pseudonym Jack Frost auch dieses Album selbst produziert. Banjo, Mandoline, Geige und Trompete verstärken den kreolisch-melancholischen Latinsound, den Hidalgos Akkordeonspiel vorgibt. Neben Donnie Herron, der auch noch die Steel guitar bedient, George Recile am Schlagzeug und Tony Garnier am Baß hat Dylan Mike Campbell von den Heartbreakers erneut ins Studio gebeten. Was diese Studioband abliefert, hört sich wirklich gut an. Es weckt Erinnerungen. Denn dies ist nicht der erste Ausflug, den Dylan in die musikalischen Gefilde jenseits des Rio Grande unternommen hat. Bereits in den siebziger Jahren hatte er eine Romanze in Durango. Und als Pat Garrett die Jagd auf Billy the Kid eröffnete, war er mit der Gitarre dabei.

Musikalisch ist das neue Album zweifellos ein Ereignis. Auch gesanglich: Jedem der zehn Songs gibt Dylan eine eigene Stimme. Sein Ausdrucksvermögen ist beeindruckend. Großes Stimmtheater. Er singt in den unteren Tonlagen. Es ist die Stimme seiner Live-Auftritte in den letzten Jahren. Diese Stimme ist rauh und heiser. Doch sie klingt unangestrengt und ist reich an Nuancen, bis hin zu den leisen Tönen. Dylan wollte unüberhörbar schon im zarten Jünglingsalter klingen wie ein alter Mann. Nun endlich sind Alter und Stimme deckungsgleich.

Auch sein Outfit deckt sich mit dem, was er musikalisch ausdrücken will. In einem amüsanten Aufsatz hat Klaus Theweleit in "Spex" Dylans Styling und Bühnenoutfit über die Jahre und Jahrzehnte hinweg untersucht und dabei den Wandel vom europäisch-existentialistischen Boheme-Darsteller zum etwas abgerissenen "Southern Gentleman", den er heute darstellt, beschrieben.

"Together Through Life" ist, um noch einmal auf Willi Winkler zurückzukommen, ein gutes, ein schönes, aber kein "großes Album" im Sinne des Kanons großer Dylan-Alben. Und schon gar keines, das die drei vorangegangenen in den Schatten stellen könnte. Es fehlt der große Song. Es fehlen die wie in Stein gemeißelten Verse und Zeilen, die sich tief im Hirn eingraben und in allen möglichen und unmöglichen Alltagssituationen urplötzlich wieder ins Bewußtsein vordringen.

"This Dream of You", mit zarter Stimme gesungen und im langsamen Walzertakt vom Akkordeon getragen, ist der einzige Song auf dem Album, für den Dylan allein verantwortlich zeichnet. Dieser Song hat das Potential eines Sommerhits. Da folge ich Max Dax, der "Together Through Life" in seiner "Spex"-Besprechung eine Sommerplatte nennt. Auch die zweite Ballade des Albums, "If You Ever Go to Houston", kommt sommerlich beschwingt daher. Dafür sorgt das repetitive Akkordeonspiel des virtuosen David Hidalgo von Los Lobos.

Im Kontext von Dylans Gesamtwerk sind die Lyrics von "Together Through Life" eher mittelmäßig. Das gilt auch für den Schlußsong "It's All Good". Da geht es um den Alltag in finsteren Zeiten. Dylan und Hunter breiten ein Horrorszenario aus: Frauen, die sich still und heimlich von der Party stehlen und nicht mehr nach Hause zurückkehren. Politiker, die Lügen erzählen. Restaurants, deren Küchen voller Fliegen sind. Stück für Stück und Stein für Stein machen sie einen fertig. Es gibt Leute, die sind so krank, daß sie kaum noch stehen können. Die Witwen weinen, die Waisen jammern, "everywhere you look / there's more misery". Dylan weiß, was Sache ist. In unzähligen Songs hat er die Lage der Nation immer wieder aufs neue reflektiert und kommentiert. Sein Kommentar zur Misere von heute überrascht jedoch. Der Sänger flüchtet sich in den Sarkasmus und offenbart eine Haltung, die neu ist in einem Dylan-Song. Die Botschaft: Ich sehe zwar den ganzen Wahnsinn, doch ich würde daran, selbst wenn ich die Gelegenheit dazu hätte, nichts ändern. Warum? Weil sie einem doch dauernd erzählen it's all good, it's all good, it's all good.

Auf der Bühne habe ich Dylan zuletzt Ende März in Kopenhagen gehört und gesehen. Es war ein gutes Konzert in einer schönen Stadt mit einem angenehmen Publikum. Ich kann mich jedoch, wenn ich all die Live-Auftritte der letzten Jahre Revue passieren lasse, des Eindrucks einer gewissen Monotonie nicht erwehren. Sie wäre locker zu durchbrechen, wenn Dylan seine Tour mit dieser Studioband fortsetzen würde. Eine verlockende Vorstellung.

Bob Dylan: Together Through Life. Columbia/Sony-BMG

Günter Amendt hat zuletzt das Buch "Die Legende vom LSD" (Zweitausendeins) veröffentlicht

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Literatur Konkret Nr. 36