Donnerstag, 25. April 2024
   
Startseite Konkret Hefte Konkret Texte Sonderhefte Konsum Online Konkret Verlag

Das aktuelle Heft



Aboprämie



Studenten-Abo



Streetwear



36 Jahre Konkret CD

36 Jahre Konkret CD


Heft 07 2009

Von Alexander Kasbohm

Ödipussis Rache

Der "Spiegel"-Redakteur Jan Fleischhauer wähnt sich allein "unter Linken"

Da er auch so langsam auf die 50 zugeht, muß Jan Fleischhauer, Sohn einer linksliberalen Hamburger Bürgerfamilie, jetzt gegen seine Eltern rebellieren, vor allem gegen die wohl recht dominante Mutter. Sie untersagte dem kleinen Jan den McDonald's-Besuch und den Colakonsum, und weil ihn das so traumatisierte wie andere die Verweigerung der Mutterbrust, ist er konservativ geworden. Das ist, kurz zusammengefaßt, der Inhalt seines Buches "Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde". Man muß kein Psychologe sein, um Fleischhauer eine unvollständige Abnabelung von der Mutter, ausgewachsene Paranoia und allgemein einen amtlichen Vollknall zu attestieren.

Andere hätten vielleicht mal das Gespräch mit den Eltern gesucht oder eine Therapie gemacht. Fleischhauer mußte in seiner unendlichen Eitelkeit und Selbstüberschätzung - siehe auch seine profilneurotische Onlinepräsenz (http://unterlinken.de): Schau mal, ich bin im Fernsehen, Mutti! - versuchen, ein Buch zu schreiben. Worin sein Konservativismus besteht, das enthält er den Lesern vor. Deutlich erkennbar ist dafür seine geradezu pathologische Wut auf alles, was er für links hält. Und was er für links hält, ist das einzig Erheiternde an diesem pfostendummen Buch.

Geschrieben ist "Unter Linken" in dem standardisierten Buchhalterstil des "Spiegel": Friedrich Engels bekommt unweigerlich das Attribut "der Fabrikerbe" verpaßt, und Rousseau ist der "am 28. Juni 1712 geborene, depressive Handwerkersohn aus Genf, der sich nach einer unglücklichen, mutterlosen Kindheit mit dem Kopieren von Notenblättern und den Zuwendungen älterer, gern etwas pummeliger Damen über Wasser hielt". Es gibt biographische Einschübe, die dem Textverständnis dienen - und welche, bei denen einem schon auf halber Strecke die Augenlider zu flattern beginnen, weil sie so geschmacklos sind wie die kratzigen Wollpullover, die anzuziehen seine Mutter den kleinen Jan vermutlich zwang. Oder es sind langweilige Nebensächlichkeiten und dröge Zahlen, als verspürte der Autor den Drang, seinen Konservativismus statistisch zu untermauern. Von seinem alten Lehrmeister Wolf Schneider hätte Fleischhauer doch wenigstens abgucken können, wie man knapp formuliert und seine Leser nicht anödet.

Anstatt sich zu freuen, daß Linke auf ganzer Linie abgemeldet sind und die SPD mal wieder zuverlässig all die konservativen Projekte durchgezogen hat, die Kohl sich nie anzugehen traute, sieht er sich von einer übermächtigen Linken umzingelt, die "auf ganzer Linie gewonnen" habe. Doch ihm geht es gar nicht um die Realität, sondern um Jan Fleischhauer. Lustigerweise wirft er den von ihm als Linke Identifizierten über weite Strecken vor, gar nicht wirklich links zu sein. So hat er es den Hafenstraßenbewohnern, die er als junger "Spiegel"-Redakteur zum Interview besuchte, nie verziehen, daß sie seinen romantischen Vorstellungen nicht entsprachen. Daß er in dem "alternativen Wohnprojekt" eine Ikea-Küche vorfand, hat ihn tief erschüttert. Spießigkeit, folgert er aus solchen Feldforschungen, müsse ein originär linkes Phänomen sein.

Weiter im Text macht der Autor einen allgemeinen Verfall der Werte an Elternteilzeit, Erziehungsurlaub für Väter und dem gar nicht mehr so knorrigen und zackigen Führungspersonal der CDU fest. Der linke Staat nutzt nicht die Chance, das Arbeitslosengeld zu kürzen etc. blabla. Selbst die Kirche ist nicht mehr, was sie mal war: "Kaum ein Pastor traut sich noch, von Himmel und Hölle zu sprechen. Und wenn, dann nur vage und allegorisch." Das ist schon ein Jammer: Könnte man den Menschen doch nur glaubhaft versichern, daß sie in der ganz realen Hölle landen, wenn sie sich nicht zusammenreißen - Deutschland würde nicht so verlottern.

Wenn Fleischhauer über seltsame Diskussionsstrukturen linker Gruppierungen oder die nahezu kreationistische, ideologisch geprägte Wissenschaftsfeindlichkeit schreibt, dann streift er manchmal fast einen halbwegs richtigen Gedanken, den er aber sofort wieder fallenläßt, um das Gegenteil zu behaupten. So hat selbst er gemerkt, daß viele, die sich für links halten, in Wahrheit Antisemiten deutscher Tradition sind. Statt denen nun aber ihren Antisemitismus vorzuwerfen, sagt er: Typisch links - alles verlogene Antisemiten! Von da aus ist es nur noch ein Katzensprung zu seiner Überlegung, ob nicht auch Hitler in Wirklichkeit ein Linker war. Wie man mit einer derart eklatanten Links-Rechts-Schwäche überhaupt unversehrt über die Straße kommt, ist mir schleierhaft.

Daß links für ihn dort ist, wo für den Linken rechts ist, wird auch aufs heiterste offenkundig, wenn Fleischhauer nachzuweisen versucht, daß Linke gar keinen Humor haben können: "Merkwürdigerweise halten sich auch die meisten Linken für besonders humorfähig. Als gesellschaftlich bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet gilt ihnen die Etablierung des politischen Kabaretts." Eine steile These, wie alle anderen nicht belegt oder begründet. (Belege wären wahrscheinlich auch links.) Die Vorstellung, daß es eine Position links von SPD und Dieter Hildebrandt gibt, geht in seinen vakuumverschlossenen Kopf offenbar nicht rein. Von falschen Prämissen ausgehend, kann er dann, wie der ehemalige Student der Philosophie gelernt hat, alles behaupten. Wenn der Mond aus grünem Käse ist, können Schweine fliegen resp. ist Jan Fleischhauer ein geistreicher Schreiber.

"Die Linke schreckt zurück vor dem Abgrund der Absurdität", heißt es in ungebrochen offensiver Geistesferne. Ist der Blick fürs Absurde aber nicht ein klassischer Ausgangspunkt subversiven Bewußtseins? Vermutlich hat der Humorexperte auch Beckett und Sartre zu Konservativen ehrenhalber ernannt. Wer "von Linken schon im zweiten Satz verlangt, daß ihnen das Lachen im Halse steckenbleiben müsse", bleibt unklar. Aber vermutlich ist hier wieder die Mutter schuld, mit der Jan früher den "Scheibenwischer" schauen mußte.

Lachen mit Fleischhauer, letzte Folge: "Aber aus gutem Grund wird Humor vom Scherz unterschieden. Er entsteht aus dem Gefühl der Unzulänglichkeit, seinen Reiz bezieht er aus der künstlichen Verdoppelung der Schwäche, nicht dem Überlegenheitsgefühl." Da merkt er schon nicht mehr, daß dies genau die Begründung dafür ist, weshalb es keinen rechten Humor geben kann. Eben weil Humor aus einem Gefühl der Unterlegenheit und Ohnmacht gegenüber dem Leben, dem Staat, seinen Mechanismen und Herrschern entsteht. Scherze zur Gaudi der Massen auf Kosten von Minderheiten und zum Amüsement der "Eliten" auf Kosten der Unterprivilegierten bleiben Hermann-Göring-Humor, also gar keiner. Daher läßt Fleischhauer seiner Abrechnung mit der angeblichen Humorunfähigkeit der angeblich Linken auch keine Beispiele konservativen Humors folgen.

Eigentlich eine arme Sau, könnte man sagen, wenn der Autor seinen kriecherischen Opportunismus nicht als mutigen Akt der Rebellion verkaufen würde. Er sollte seiner Mutter einen Strauß Blumen kaufen, zum Kaffeetrinken vorbeischauen und sich bei ihr entschuldigen. Und dann wollen wir die Angelegenheit vergessen. Ganz schnell, hoffentlich.

Jan Fleischhauer: "Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde". Rowohlt, Reinbek 2009, 352 Seiten, 16,90 Euro

Alexander Kasbohm schrieb in KONKRET 6/09 über den Teenagerrock der Manic Street Preachers

KONKRET Text 56


KONKRET Text 55


Literatur Konkret Nr. 36