Rezensionen
Ariel Dorfman
Den Terror bezwingen
Der lange Schatten General Pinochets
Aus dem Englischen von Ulrike Borchardt
192 Seiten, broschiert
EUR 15.00     SFr 26.00
ISBN 978-3-89458-223-4
vergriffen

»Es ist schon bewundernswert, wie Ariel Dorfman, Exil-Chilene seit dem Putsch von 1973, seine Hoffnungen und Energien darauf richtet, den einstigen Diktator General Augusto Pinochet vor Gericht gebracht zu sehen. Die Verve, mit der er zu verhindern sucht, dass der General und seine Schergen ihren Lebensabend ohne Angst vor der Justiz genießen können, tut vielleicht jenen vielen Landsleuten Dorfmans gut, deren Angehörige der General ermorden ließ. Der 11. September 1973, der Militärputsch gegen den gewählten Präsidenten Salvador Allende, war ebenso monströs wie der 11. September 2001. Mit dem Unterschied allerdings, dass US-Politiker wie Henry Kissinger, der Weltkonzern ITT und die CIA dem General als Steigbügelhalter dienten und den Terror, den er in den folgenden 17 Jahren entfachte, nicht nur duldeten, sondern auch unterstützten. Der Autor nimmt Partei für die Geschundenen und beschreibt sehr einfühlsam, was die Regimegegner zu erleiden hatten. Er versucht in einer psychologischen Annäherung an Pinochet zu ergründen, “wie jemand, der dermaßen normal und sogar mittelmäßig wirkt, so viel Übel in die Welt bringen kann". Er erzählt, beschreibt und analysiert im Wechsel, typographisch gegeneinander abgesetzt, sodass die Lektüre auch Nicht-Experten packen wird. Es war nach der Rückkehr zur Demokratie von 1990 an strittig, wie sich die Verfolgten des Pinochet-Regimes verhalten sollten. Während der Ex-Diktator seine Mittäter mit einer Amnestie und sich selbst durch die Ernennung zum Senator auf Lebenszeit dem Zugriff der Justiz zu entziehen versuchte, hat man den Opfern zumuten wollen, um des Friedens und der noch fragilen Demokratie willen stillzuhalten. Eine “heuchlerische Versöhnung", empört sich Dorfman. “Tod durch Vergessen, Verdrängen und Distanz: Das ist das moralische Debakel, das der lateinamerikanische Schriftsteller fürchtet. Er kämpft deshalb beharrlich gegen die Gefahr eine kollektiven Amnesie an. Erfolg kann diesem Bestreben nur beschieden sein wenn dem ehemaligen Diktator der Prozess gemacht wird. Dorfman träumt von der Stunde der Wahrheit, in der das Ur teil gegen Pinochet ergeht. Und von der Tag, an dem Schluss sein wird mit de Straffreiheit für einstige Diktatoren. Der Autor schildert minutiös die juristischen Ereignisse im Fall Pinochet, von der Verhaftung durch Scotland Yard in London am 18. Oktober 1998 auf Anordnung des spanischen Richters Baltasar Garzon bis zum Scheitern des in Chile dann doch gegen ihn eröffneten Verfahrens. Im Juli 2002 lehnte das Oberste Gericht die Anklage wegen der vermeintlichen Demenz Pinochets endgültig ab Trotzdem war das Engagement Dorfmans und vieler Gleichgesinnter nicht umsonst. Der Autor: “Der Fall Pinochet wird ein grundlegender Schritt zur Verwirklichung der Menschenrechte bleiben." Diesen Optimismus kann man nach der Lektüre dieses aufschlussreichen, mit Emphase geschriebenen Buches teilen.«
Süddeutsche Zeitung

»Als Augusto Pinochet am 17. Oktober 1998 auf Anordnung eines spanischen Richters in London verhaftet wurde, war das nicht nur eine Überraschung für die Weltöffentlichkeit. Auch Tausende Chilenen, die der am heutigen Tag genau 30 Jahre zurückliegende Militärputsch über die ganze Welt zerstreut hatte, traf diese Nachricht völlig unvorbereitet. Denn insgeheim hatte man sich darauf eingestellt, dass der alte General, ähnlich wie der spanische Diktator Franco, in seinem Bett sterben würde, ohne jemals belangt worden zu sein. Der chilenische Autor und Dramatiker Ariel Dorfman, berühmt vor allem durch sein von Roman Polanski verfilmtes Theaterstück Der Tod und das Mädchen, hat in seinem Exil in den Vereinigten Staaten eine Art Tagebuch geschrieben, welches das nervenaufreibende Hin und Her des Rechtsvorgangs protokolliert. Dabei ist von Dorfman keine Analyse zu erwarten, vielmehr geht es ihm um die Ausleuchtung seiner eigenen zwiespältigen Reaktionen, um die Verfassung seiner Freunde und Weggefährten und natürlich auch um die komplizierten Rechtsverhältnisse, die es erst seit kurzem (nämlich seit 1988) erlauben, international gegen Despoten und Menschenschlächter vorzugehen. Aus diesem Grunde hätte man Pinochet nur für Verbrechen verurteilen können, die nach diesem Stichtag begangen wurden, aber dazu kam es bekanntlich erst gar nicht. Neben den Tagesnotizen und -reflexionen gibt das Buch Auskunft über das Schicksal von getöteten Oppositionellen, den Abertausenden Verschwundenen und deren Familien. Dorfman ist es damit gelungen, im besten Sinne die Auswirkungen der Politik auf das eigene Leben auszuleuchten und den namenlosen Opfern des Regimes ein Gesicht zu verleihen. Zugleich demonstrieren seine Protokolle die tiefe Gespaltenheit der chilenischen Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Wie festgefroren manifestiert sich diese Spaltung in den Kundgebungen vor dem Gerichtsgebäude in London, in dem entschieden wurde, ob die Verhandlungen über das Auslieferungsverfahren nach Spanien endlich beginnen können. Unversöhnlich stehen sich Anhänger und Gegner gegenüber und versuchen, sich im wechselseitigen Geschrei zu übertönen. Dorfman wünscht sich zum ersten Mal seit Pinochets Verhaftung, dass “dieser unbändige gegenseitige Hass, dieser absolute Mangel an Dialogbereitschaft dem Rest der Welt verborgen" bliebe. Gleichzeitig stellt er sich und allen Chilenen die Frage, ob es nicht unvermeidlich sei, durch einen derartigen Prozess auch mit den eigenen Fehlern und Versäumnissen konfrontiert zu werden. Am Ende darf der alte General nach Chile zurück, wo gegen ihn ein Verfahren angestrengt wird. Vier Jahre nach seiner Verhaftung in London wird ein chilenisches Gericht entscheiden, aufgrund einer “irreversiblen Verschlechterung seines Geisteszustandes" keine Anklage zu erheben. Für Dorfman bedeutet diese Entscheidung nicht das Ende, auch wenn das ärztliche Attest eine Finte der Anwälte gewesen sein mag. Vergessen wird man die Taten Pinochets nicht, doch zumindest wird auch der Eindruck bleiben, wie gehetzt er während dieser vier Jahre in die Kameras geblickt hat. "Pinochet war alles in meinem Leben. Und er war nichts."«
Die Zeit

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