Leseprobe
Marco Carini / Andreas Speit
Ronald Schill
Der Rechtssprecher
208 Seiten, broschiert
EUR 15.00     SFr 27.30
ISBN 978-3-89458-214-2

Resumee

Der Wahlerfolg der Schill-Partei bei der Hamburg Bürgerschafts- und Bezirkswahl 2001 ist dem Zusammentreffen mehrerer Ursachen für rechtspopulistische Parteien geschuldet, wie den sozio-ökonomischen Veränderungen, den politisch-ideellen Verschiebungen und dem radikal-politischen Angebot. Die gesellschaftlichen Bedingungen im Zusammenspiel mit den politischen Verhältnissen in der Hansestadt schufen Optimalbedingungen für einen Rechtspopulisten: Als Richter bekannt geworden und erst spät in die Politik gewechselt, konnte Schill die selbstgewählte Rolle des Anti-Politiker-Politikers ausfüllen. Die lokale Presse etablierte die Sicherheitsdebatte als zentrales Wahlkampfthema, die konkurrierenden Parteien legitimierten die Schill-Partei indem sie ihre Konzepte kopierten. Die nach mehr als 40-jähriger sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung leicht zu erzeugende Wechselstimmung, verbunden mit einer traditionell schwachen Hamburger CDU beförderten den Hamburger Aufstieg der Schill-Partei. Alle Wahlumfragen signalisierten frühzeitig, dass eine Ablösung der rot-grünen Koalition nur mit Hilfe der Schill-Partei wahrscheinlich sei; das frühe Koalitionsangebot der CDU hat diese Option befördert. Unter diesen Gegebenheiten gelang es der Schill-Partei ihr Potenzial weitgehend auszuschöpfen.

Das Wahlpotenzial der Schill-Partei ist nicht exakt zu bestimmen: Ein viertel Jahr vor der Bundestagswahl 2002 prognostizierten die Meinungsforschungsinstitute ein mögliches Wahlergebnis zwischen 0,5 und 13 Prozent, wobei sich nach einer Umfrage aus dem Sommer 2001 sogar bis zu 25 Prozent der Deutschen theoretisch vorstellen können, einer Partei wie der des ehemaligen Amtsrichters ihre Stimme zu geben. In Mecklenburg-Vorpommern variierten die Prognosen zwischen 19 Prozent im Oktober 2001 und vier Prozent im Mai 2002, in Sachsen-Anhalt, zwischen zwei und 21 Prozent. Die stark auseinanderklaffenden Umfrageergebnisse zeigen einerseits das vorhandene Potential der Schill-Partei auf, verweisen andererseits auf die geringe Bindung der Schill-Sympathisanten an die neue Partei. Dies ist vor dem Hintergrund des allgemeinen Aufbrechens traditioneller Parteibindungen im Zuge der zunehmenden Auflösung klassischer sozialer und kultureller Milieus durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse erklärlich - liegt doch genau in der schwindenden Wählerbindung an die Altparteien auch die Chance für Schill. Dies gilt besonders für die östlichen Bundesländer, in denen sich stabile Parteiorientierungen nach der "Vereinigung" gar nicht erst herausgebildet haben. Die Umfrageergebnisse, wie auch die Ergebnisse rechtspopulistischer Parteien in anderen europäischen Ländern legen nahe, dass auch in der Bundesrepublik ein Wählerreservoir zwischen zehn und 25 Prozent für eine rechtspopulistische Partei vorhanden ist.

Beobachter sind sich seit Jahren einig, dass in Deutschland ein weit höheres rechtsextremes oder rechtspopulistisches Potenzial besteht, als es die Wahlergebnisse von DVU, Republikanern und NPD wiederspiegeln. Die vorhandenen rechten Ressentiments offenbaren nicht nur die rassistischen Anschläge, die in dieser Massivität in vielen Ländern mit höheren Wahlergebnissen rechtsextremer Parteien nicht zu finden sind, sondern auch zahlreiche Studien. Eine 1998 veröffentlichte Untersuchung des Parteienforschers Richard Stöss über die gesellschaftliche Akzeptanz von Rechtsextremismus und Gewalt belegt, dass in der Bundesrepublik nach wie vor eine stark autoritäre und ausländerfeindliche Mentalität herrscht. Erinnerungen an die Sinus-Studie von 1981 werden wach, in der 13 Prozent der Bevölkerung ein ideologisch geschlossenes rechtsextremes Weltbild attestiert wurde.

Dass die extrem rechten Parteien dieses Wählerpotenzial bisher von wenigen zeitlich und regional begrenzten Ausnahmen abgesehen nicht abrufen konnten, liegt vor allem an dem für große Teile der Bevölkerung inakzeptablem Führungspersonal und der neofaschistischen bis rechtsextremen Ideologie. Ronald Schill und seine Partei hingegen gelten zwar als rechts, aber nicht rechtsradikal.

In der historisch vorbelasteten Bundesrepublik eine notwendige Vorbedingung für eine größere Medien- und Wählerakzeptanz.

© Konkret Literatur Verlag, Ehrenbergstr. 59, 22767 Hamburg

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