Leseprobe
Hermann L. Gremliza
Gegen Deutschland
48 Nestbeschmutzungen
208 Seiten, broschiert
EUR 14.50     SFr 26.50
ISBN 978-3-89458-193-0

Walsers Kinder

Deutschland ist erschüttert, Deutschland ist fassungslos.
Gerhard Schröder, Bundeskanzler

Was ist geschehen? Hat ein Ausländerwohnheim gebrannt, wurde ein Afrikaner erschlagen, ein jüdisches Grab geschändet? Aber das kann doch einen Staatsmann nicht erschüttern. Es ist ein Flugzeug abgestürzt, dessen Insassen Deutsche waren (es hätte schlimmer kommen können), und weil es Deutsche waren, rief der Kanzler der Deutschen: Deutschland, Deutschland! Dass seinem Ruf die jüngste Welle nazistischer Gewalttaten folgte, wird Zufall gewesen sein. Ein Zufall, der weiß, was Konsequenz ist.

Was nämlich zeichnet den Nazi aus, noch vor all seiner Brutalität? Seine Feigheit. Nie wagt er sich an einen Starken, noch um einen einsamen kranken Obdachlosen totzutreten, braucht er ein halbes Dutzend Komplizen. Er bedarf, soll er sich in die Öffentlichkeit und zur Tat wagen, dauernder Ermutigung. Er braucht das Gefühl, dass die Mehrheit mit ihm ist, dass auch diese die Ausländer zum Teufel wünscht, keine Juden mag, Schwule hasst, Obdachlose verachtet, Behinderte weg haben will. Und dass Deutschland, Deutschland über allem ist.

Seit ihrem Amtsantritt hat die rotgrüne Regierung viel getan, dies Gefühl zu stärken. Sie hat das Asylrecht abgeschafft und deutsche Soldaten auf die Spuren der Wehrmacht geschickt. Sie hat die von der CSU vorgeschlagene Einteilung der Ausländer in solche, die "uns nützen", und solche, die "uns ausnützen", in dienstbare Geister und Schmarotzer ("unnütze Esser" hieß das einmal), zu ihrer Greencard-Politik gemacht. Sie hofiert die Nachfolger der sudentendeutschen Henlein-Nazis und verhöhnt die überlebenden Zwangsarbeiter. Im Streit um das Holocaust-Mahnmal hat ihr Kanzler unmissverständlich zu erkennen gegeben, für wen sein Herz nicht schlägt, im Fall Walser hat er sich auf die Seite des Antisemiten gestellt und auch jede andere Gelegenheit wahrgenommen, Deutschland, Deutschland hochleben zu lassen. Die Opposition und der Kulturbetrieb haben die Regierung dabei kräftig unterstützt. Die CDU sammelte Unterschriften gegen Ausländer und erfand die Glatzen-kompatible Parole "Kinder statt Inder", die CSU, deren Vorsitzender ein "homogenes", nicht "durchrasstes" deutsches Volk sich wünscht, feierte den Historiker Nolte, der den Holocaust mit der These gerechtfertigt hatte, die Juden hätten Deutschland den Krieg erklärt. Die Sozialforscher, die mit ihrer Totalitarismus-Theorie Revolution ("Klassenmord") und Judenvernichtung ("Rassenmord") zu gleichwertigen Taten erklärten, machten aus Horst Wessel einen frühen Che Guevara und damit aus dem Mord an einem Afrikaner in Dessau eine Tat, die sich hinter dem Attentat auf Batista ethisch nicht zu verstecken braucht.

September 2000

© Konkret Literatur Verlag, Ehrenbergstr. 59, 22767 Hamburg

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