Leseprobe
Oliver Tolmein
Welt Macht Recht
Konflikte im internationalen System nach dem Kosovo-Krieg
176 Seiten
EUR 14.50     SFr 26.50
ISBN 978-3-89458-186-2

Vorwort

Der erste Krieg nach 1945, an dem Deutschland als Kampfpartei beteiligt war, ist nun bald ein Jahr beendet. Es war ein kurzer Krieg ohne strahlenden Sieg. Es war aber auch ein Krieg, der ohne jede Opposition geführt werden konnte: Die angreifenden NATO-Staaten konnten sich in der Weltöffentlichkeit als Wahrer der Menschenrechte profilieren. Obwohl die Luftangriffe der NATO-Staaten vielfach als Verstoß gegen Völkerrecht gesehen wurden, obwohl viele sahen, dass diese Attacken größeres Elend schafften, statt es zu verhindern, hielt sich auch der internationale Protest in engen Grenzen. In den Interviews in diesem Band wird nicht über den Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien an sich diskutiert. Der als "humanitäre Intervention" deklarierte Militäreinsatz lieferte den Anlass, um eine Bestandsaufnahme zu versuchen: Wie werden Konflikte im internationalen System heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, angesichts einer neuen Nato-Doktrin, reguliert? Welche Art von Konflikten können überhaupt auf internationaler Ebene geregelt werden? Und welche Perspektiven haben die Konfliktregulierungsmechanismen?

Es ging in den Gesprächen, die in diesem Band versammelt sind, um die Mechanismen, wie Konflikte gelöst werden können oder auch sollten, um die Frage also, wie sich die internationalen Machtverhältnisse formieren, an welchen Punkten sie durchbrochen werden können, wo sie sich schon weitgehend verfestigt haben. Die Schwerpunktsetzung auf die Regelungsmechanismen hat zur Konsequenz, dass die Konflikte selbst zwar thematisiert, aber nicht grundlegend analysiert werden können. So wenig dieses Buch ein Buch über den Kosovo-Konflikt ist, so wenig ist es ein Buch über den Freihandel oder über die NGOs. Mich haben die Schnittstellen interessiert, die Frage, wie die verschiedenen Akteure zusammenwirken, welche rechtlichen Vorstellungen die Auseinandersetzungen prägen. Dass die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner wissenschaftlich arbeiten, dass sie keine politischen Aktivisten sind, sondern überwiegend Beobachter und Analytikerinnen des Geschehens prägt den Zugang dieses Buches zu seinem Thema ebenso. Es versucht einen Blick auf die komplexen Strukturen des internationalen Systems zu eröffnen, nicht die Leserinnen und Leser mit fertigen Urteilen zu versorgen.

Am Anfang steht ein Gespräch mit dem Völkerrechtler Bruno Simma, das die Rolle der UNO in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen thematisiert und untersucht, inwieweit diese internationale Organisation, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Sicherung des Weltfriedens geschaffen wurde, diese Rolle noch wahrnehmen kann. Im Verlauf dieses Gesprächs geht es auch wesentlich um die Frage, was es für das internationale Recht bedeutet, dass die einzige Supermacht, die USA, sich an seine Regeln und Gebräuche nur nach Belieben gebunden fühlt.

An dieses Gespräch schließen sich zwei Diskussionen mit dem deutschen Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel und seinem britischen Kollegen AJR Groom an. Czempiel akzentuiert die verheerenden Folgen des Kosovo-Krieges für das internationale System, in dem Krieg wieder zur ganz normalen Handlungsoption zu werden droht. Allerdings sieht Czempiel gesellschaftliche Veränderungen, die die Akzeptanz des Militärischen begrenzen. AJR Groom setzt den Kosovo-Krieg dagegen in Beziehung zum Engagement der UNO gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Er analysiert, dass es schwerer ist einen Kriegsschauplatz zu verlassen, als ihn zu betreten und sieht von daher, dass die Konfliktlösungsstrategien der westlichen Staaten an ihre Grenzen gerät.

Dagegen setzt der britische Völkerrechtler Christopher Greenwood ein entschiedenes Plädoyer für "Humanitäre Interventionen", weil nur sie in seinen Augen die Gewähr dafür bieten, dass grausame Menschheitsverbrechen wirkungsvoll bekämpft werden können. Greenwood hält auch aus rechtlicher Sicht die "humanitären Interventionen" auch ohne UN-Zustimmung für gerechtfertigt.

Die Frankfurter Politikwissenschaftlerin Ingeborg Maus wendet sich gegen die Idee der "humanitären Intervention". Für sie stellt die Berufung der Staaten auf die Sicherung der Menschenrechte einen Missbrauch dieser Grundrechte dar, die als Abwehrrechte gegen den Staat konzipiert wurden und nicht als Ermächtigungsnormen für militärisches Einschreiten. Sie sieht in den Angriffen zudem einen demokratiefeindlichen Angriff auf die Volkssouveränität.

Die Schweizer Juristin Carla del Ponte, Chefanklägerin des vom UN-Sicherheitsrat eingesetzten Ad-hoc-Kriegsverbrechertribunals für das frühere Jugoslawien setzt sich mit den Problemen der Strafverfolgung von Kriegsverbrechen auseinander und gibt Auskunft über den Stand der Ermittlungen gegen die NATO wegen einzelner möglicher Verstöße gegen die Genfer Kovention.

Während vor dem Kriegsverbrechertribunal voraussichtlich keine Anklage gegen Kommandeure und politisch Verantwortliche des Militärbündnisses erhoben werden wird, laufen gegen mehrere NATO-Staaten noch Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof, dem Rechtsprechungsorgan der UNO. Über die Dimension dieses Verfahrens und die Konkurrenz der verschiedenen internationalen Gerichte untereinander gibt der Rechtswissenschaftler Thomas Bruha Auskunft.

Die wohl effizienteste internationale Gerichtsbarkeit ist die der Welthandelsorganisation, der WTO. Der Jurist Ernst-Ulrich Petersmann, der in Genf sitzt und in WTO-Verfahren als Berater tätig war und ist, diskutiert, inwieweit diese zwingende Gerichtsbarkeit ein Modell für den Menschenrechtsschutz der UNO sein könnte. In diesem Gespräch wird auch erörtert, inwieweit die effiziente Vorgehensweise der WTO andere international-rechtliche, möglicherweise mit Freihandelsgrundsätzen kollidierende Abkommen an den Rand drückt.

Die fehlende Berücksichtigung von Umweltschutz- und Sozialstandards, die auch in Konventionen geregelt sind, durch die WTO haben insbesondere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in jüngster Zeit scharf kritisiert. Über die Rolle der NGOs auf internationaler Ebene und ihre zunehmende Bedeutung habe ich mit dem Londoner Soziologen Peter Willetts gesprochen.

Inwieweit die Verrechtlichung der Internationalen Beziehungen auch zur Verwestlichung führt und wieso das islamische Recht eine so geringe Rolle für das Völkerrecht spielt ist Thema des Gesprächs mit Cherif Bassiouni, einem Muslim ägyptischer Abstammung, der an der DePauls Universität in Chicago Recht lehrt.

In einem abschliessenden Text resümiere ich die Konsequenzen des Kosovo-Krieges für die internationalen Beziehungen und untersuche inwieweit die Vernachlässigung der Menschenrechte durch die Linke dazu beiträgt, daß sie sich gegenwärtig gegen den militärischen Expansionismus so in der Defensive befindet.

Die Gespräche, die in diesem Band abgedruckt sind, basieren auf der Gesprächsreihe "Weltstaat-Staatenwelt", die ich im Herbst 1999/Frühjahr 2000 für den Deutschlandfunk produziert habe. Der Redaktion von Kultur am Sonntagmorgen, Thomas Zenke und Sabine Küchler, bin ich zu besonderem Dank verpflichtet. Ohne sie wäre dieses Projekt nicht zustande gekommen. Auch die Technik des NDR-Hörfunk in Hamburg hat mit ihrer unbürokratischen Terminplanung zum Entstehen der Sendereihe und damit auch zum Entstehen des Buches erheblich beigetragen. Das gilt auch für Dorothee Gremliza vom Konkret Literatur Verlag, die wieder einmal viel Geduld bewiesen hat, als die Terminplanung umgestoßen wurde, und die den Impuls dafür gegeben hat, aus der Gesprächsreihe ein Buch zu produzieren. Auch den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern muß ich danken, die sich mit der Nachbearbeitung und Aktualisierung der Gespräche große Mühe gegeben haben. Außerdem danke ich den Kolleginnen und Kollegen vom Fachbereich Rechtswissenschaften, meiner Examensvorbereitungsgruppe und Mirjam Steffensky, die mich bei der Vorbereitung der Gespräche mit Tipps, Hinweisen und Materialien versorgt haben.

Diese Gespräche hätte ich aber nie geführt, wenn nicht Professor Theresia Degener mich aufgefordert hätte, endlich Jura zu studieren und Professor Rainer Keller nicht mein Interesse an internationalem Recht geweckt hätte.

Hamburg, Februar 2000

© Konkret Literatur Verlag, Ehrenbergstr. 59, 22767 Hamburg

 Zurück     Weitere Leseprobe